Albrecht Dürer
Madonna mit Kind auf der Rasenbank, 1520
Die Zeichnung gehört zu einer Reihe von Mariendarstellungen Dürers aus den Jahren 1518–20, um die sich eine Zahl von Holzschnitten (Bartsch 101) und Kupferstichen (Bartsch 36–39) zum selben Thema gruppiert. Heidrich verwies zu Recht auf die Ähnlichkeit zu den ebenfalls um 1520 entstandenen Madonnenzeichnungen in Berlin und in Chatsworth.(Anm. 1) Mit ihnen verbindet unsere Zeichnung die schlichte Gewandbehandlung und die – wie Bock zu Recht formulierte – „abwesende Ruhe“ in der Haltung der Madonna.(Anm. 2) Bezüglich der Strichführung sieht Bock Gemeinsamkeiten mit der Berliner Zeichnung, die jedoch nur bedingt nachzuvollziehen sind. Dürer schuf die Zeichnung vermutlich während der Niederländischen Reise. So glaubt Panofsky den Einfluss früher flämischer Madonnenbilder zu erkennen.(Anm. 3)
Auffällig ist die im Vergleich zur linken Seite des Blattes nur kaum ausgeführte Darstellung des musizierenden Engels. Heidrich vermutete, dass der Engel nur hinzugefügt worden sei, um die verunglückte Anordnung des Gewandes zu verdecken.(Anm. 4) Eine solche „Korrektur“ ist jedoch auszuschließen, auch wenn die Draperielösung an dieser Stelle unklar ist.(Anm. 5) Tietzes verstehen den Engel eher als Auflockerung der Komposition und als ersten Schritt zu späteren asymmetrischen Kompositionen.(Anm. 6) Unbefriedigend bleibt jedoch die merkwürdige „Teilung“ des Blattes in eine linke und rechte Hälfte, die sich vor allem im Strichbild widerspiegelt. Links der auffällig lineare, fast kantige Strich und rechts die leichte Schraffierung. Die Intensität der Lichtführung verstärkt diesen Eindruck, indem die Schattierungen von links nach rechts zunehmend heller werden und in der Figur des Engels abrupt abbrechen. Die von Flechsig geäußerte These, dass es sich wegen der Belichtung bei der Zeichnung um die Vorlage für eine Graphik gehandelt habe, ist nicht nachweisbar.(Anm. 7) Seine Vermutung, dass das Monogramm nicht von Dürers Hand sei, wird von Winkler bestätigt.(Anm. 8) Lisa Oehler sieht in der Hamburger Zeichnung auf Grund des gedrängten Monogramms zusammen mit weiteren Madonnendarstellungen eine Kopie von Hans Springinklee (um 1480/um 1495 – nach 1522/ um 1540/48) nach einer verlorenen Dürerzeichnung.(Anm. 9) Trotz der genannten Schwächen ist jedoch an der Eigenhändigkeit Dürers nicht zu zweifeln.
Petra Roettig
1 Heidrich 1906, S. 135. Vgl. „Maria mit Kind von einem Engel gekrönt“ und „Hl. Anna“, nach 1520, Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, KdZ 1275 und KdZ 4538, vgl. Strauss 1974, Bd. 3, S. 1726, Nr. 1518/12, Abb. und Bd. 4, S. 2114, Nr. 1521/66, Abb. sowie Albrecht Dürer. Kritischer Katalog der Zeich-nungen, bearb. von Fedja Anzelewsky u. Hans Mielke, Berlin 1984, S. 72–74. „Maria mit Kind und Johan-nesknaben“, 1520, Chatsworth, Devonshire Collection, vgl. Strauss 1974, Bd. 3, S. 1782, Nr. 1519/14, Abb. Zur neueren Datierung der Zeichnung in Chatsworth vgl. Michael Jaffeé: The Devonshire Collection of Northern European Drawings, Vol. IV: German, English and Spanish Artists, Turin, London 2002, S. 474, Nr. 1534.
2 Bock 1913, S. 220.
3 Panofsky 1948, Bd. 2, S. 77, Nr. 687. Winkler 1936, S. 17, Nr. 537, vermutet ebenfalls eine Entstehung in den Niederlanden, meint aber, dass die Komposition auch ohne flämische Vorlagen entstanden sein könnte.
4 Heidrich 1906, S. 135.
5 Windsor, Königliche Schlossbibliothek, Inv.-Nr. 121.80, vgl. Strauss 1974, Bd. 3, S. 1780, Nr. 1519/13, Abb.
6 Tietze 1928, S. 30–31, Nrn. 843 und 846 verweisen in diesem Zusammenhang auf eine Mariengruppe von 1521 in Chantilly, Musée Condé, vgl. Strauss 1974, Bd. 4, S. 2144, Nr. 1521/81.
7 Flechsig 1931, S. 309.
8 Wie Anm. 2.
9 Oehler 1973, S. 61.