Asmus Jacob Carstens

Selbstbildnis, 1784

Äußerst eindringlich blickt der Künstler, der sich in der Signatur ausdrücklich als Historienmaler bezeichnet, den Betrachter mit großen Augen in starker physischer Präsenz an. Die Beschränkung des streng frontalen Bildnisses auf den Kopf gibt dem Dargestellten allerdings – neben dem Ausdruck eines starken Willens – auch ein gewisses Enthobensein aus der ihn umgebenden Welt, gepaart mit tragischem Ernst. Carl Ludwig Fernow beschrieb diese Charaktereigenschaft von Carstens 1802 wie folgt: „Auch in leidenden Zuständen war sein Sinn heiter, und sein Geist schwebte kummerfrei in den höheren Regionen der Kunst.“ Das Selbstbildnis entstand 1784 in Lübeck, wo Carstens nach dem Studium an der Kopenhagener Akademie und einer ersten, abgebrochenen Italienreise als Porträtzeichner tätig war. Carstens, der 1798 in Rom starb und auf dem Protestantischen Friedhof begraben wurde, gilt als einer der wichtigsten Exponenten des deutschen Klassizismus, an dessen gezeichneten mythologischen Kompositionen – die Ölmalerei blieb ihm zeitlebens fremd – sich die nachfolgende Generation deutscher Künstler schulte.

Andreas Stolzenburg
Das in seiner strengen Frontalität und Beschränkung auf den Kopf eindringliche Selbstportrait hat Sach noch als Abschiedsgeschenk an Carstens’ Prinzipal Christian Johann Bruyn in Eckernförde bezeichnet, das er Ende 1776 verließ, um nach Kopenhagen an die dortige Akademie überzusiedeln. Riegel dagegen hielt eine Entstehung zu Anfang der 80er Jahre für wahrscheinlich, entweder am Ende von Carstens’ Zeit in Kopenhagen, in Italien oder zu Beginn seines Aufenthaltes in Lübeck. Kamphausen hat dann zu Recht das Bildnis an den Anfang seiner Lübecker Zeit gesetzt, wo sich Carstens 1784 nach dem Studium an der Kopenhagener Akademie und einer abgebrochenen Italienreise niedergelassen hatte. Dort lebte er vom Portraitzeichnen, wie Fernow berichtet: „Da Carstens im Treffen sehr glücklich war und mit einer bestimmten, schönen Zeichnung eine saubere und gefällige Ausführung verband, so fehlte es ihm in Lübeck selten an Arbeit, und er hat dort eine große Menge von Porträts theils gemalt, theils gezeichnet“.(Anm. 1) Obwohl sich Carstens als Portraitist betätigen musste, bezeichnet er sich in der Signatur selbstbewusst als Historienmaler, dem eigentlichen Ziel seiner Arbeit als Künstler. Das Selbstbildnis dokumentiert den Wandel von Carstens’ Kunstauffassung in seiner Lübecker Zeit, in der er, vor allem beeinflusst durch das Italienerlebnis, in der Auseinandersetzung mit kunsttheoretischen Schriften zu einer ersten Synthese fand.
Carstens Selbstbildnis lässt sich mit einem etwa gleichzeitigen Selbstportrait des Jens Juel (1745–1802) vergleichen, das in Typus und Ausdruck Carstens’ Selbstbildnis entspricht, allerdings malerischer aufgefasst ist.(Anm. 2)

Peter Prange

1 Carl Ludwig Fernow: Carstens, Leben und Werke, hrsg. und ergänzt von Herman Riegel, Hannover 1867, S. 70.
2 Ellen Poulsen: Tegninger af Jens Juel, Ausst.-Kat. Kopenhagen 1975, S. 150, Nr. 79. Schlee 1960, S. 144, hatte Juels Bildnis noch gegen Ende der 70er Jahre datiert, weshalb er in ihm das Vorbild für Carstens erkannte. Dass Carstens Juels Bildnis allerdings noch in Kopenhagen gesehen hat, ist unwahrscheinlich.

Details zu diesem Werk

Farbige Kreiden 332mm x 208mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22942 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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