Jacob Esselens, zugeschrieben
Willem Schellinks, zugeschrieben
Anonym (niederländisch, 17. Jh.), ehemals zugeschrieben

Weite Landschaft mit Blick auf Canterbury, um 1660-1670

Diese Zeichnung, von Harzen zu Unrecht Pieter Bout zugewiesen und von Wegner ohne ersichtlichen Grund mit Gillis Neyts assoziiert, war bislang als Werk eines unbekannten Niederländers abgelegt. Erst ihre photographische Aufnahme für den vorliegenden Bestandskatalog und die anschließende Konsultation verschiedener Fachkollegen ermöglichte ihre genaue Bestimmung. So stammt der entscheidende Hinweis auf die nahezu übereinstimmende Zeichnung des Willem Schellinks in Wien von Erik Löffler aus dem RKD.(Anm.1) In beiden Fällen ist die Stadt Cambridge aus südöstlicher Richtung dargestellt mit der Kreuzung von New Road und Old Dover Road im unmittelbaren Vordergrund.(Anm.2) Bei gleicher Technik ist die in Wien verwahrte Schellinks-Zeichnung mit 440 x 915 mm etwas größer als die Hamburger Version. Auch in Landschaftsanlage, Beleuchtung und Detail lassen sich Abweichungen beobachten. So ist auf der Hamburger Zeichnung das abschüssige Gelände rechts der Fahrstraße zu einer verschatteten Repoussoirzone zusammengefasst, während es auf der Wiener Fassung durch einen sonnigen Streifen unterteilt wird. Eine grundsätzlich andere Auffassung manifestiert sich in der Gestaltung der Bäume, die sich in ihren kompakteren Umrissen und schematisch abschattierten Blättern von den ausladend dornigen Zweigen der Wiener Schellinks-Zeichnung unterscheiden. In diesen Eigenschaften besteht eine große Nähe zu Zeichnungen des Jacob Esselens, der in den 1660er Jahren ebenfalls englische Städte und Landschaften zeichnete. In Übereinstimmung mit Stijn Alsteens sollte Esselens als Autor des Hamburger Blattes ernsthaft in Betracht gezogen werden.(Anm.3) Er war jedoch nicht der einzige Urheber: Die nervös konturierten Figuren im Vordergrund sind charakteristisch für die Hand des Willem Schellinks und legen es nahe, dass dieser die Zeichnung staffierte und stellenweise mit dunkelbrauner Feder überarbeitete.(Anm.4)
Offensichtlich nutzte Schellinks das Hamburger Blatt als Vorlage für seine eigene Cambridge-Ansicht. Dabei testete er hier bereits die Wirkung seiner Figuren. Das wohl von Esselens stammende Wandererpaar im Mittelgrund hingegen wurde auf seiner Reinzeichnung für den Atlas Van der Hem nicht berücksichtigt.(Anm.5) Darüber hinaus experimentierte Schellinks mit verschiedenen Kompositionsmöglichkeiten durch das Zerschneiden und nachträgliche Zusammenfügen des Papiers, gut zu erkennen an den unterbrochenen Übergängen zwischen Mittelstück und rechter Partie. Diese Brüche im Raumkontinuum wurden auf dem Wiener Blatt nicht zuletzt durch die vereinheitlichte Lichtführung geglättet und harmonisiert.

Annemarie Stefes

1 Mündlich, 27. 1. 2006, vgl. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Atlas Van der Hem, Nr. 19:24.
2 Die Stadtsilhouette im Hintergrund zeigt, von links: Schloss, St. Michael’s Church, Harbledown, St. Margaret’s Church, St. George’s Gate und St. George’s Church, St. Dunstans’s, Kathedrale, Guest Hall, St. John’s Hospital, St. Stephen’s, Hackington, ganz rechts St. Martin’s Church und St. Martin’s Hill.
3 Vorgeschlagen von Stijn Alsteens auf dem Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; vgl. Stijn Alsteens (Rezession): Erlend de Groot and Peter van der Krogt, The Atlas Blaeu-van der Hem of the Austrian National Library, in: Master Drawings 48, S. 105-120, S. 115. Vgl. Esselens’ „Ansicht von Chatham“, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Atlas Van der Hem, Nr. 19:12, oder den „Blick auf die Themse“, ebd., Nr. 19:33.
4 Für die Figurendarstellung vgl. Schellinks-Zeichnungen aus den 1670er Jahren wie das „Bad des Königs in Bath“, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Atlas Van der Hem, Nr. 19:26.
5 In London befindet sich mit der „Ansicht von Canterbury aus Nordwesten“ der vermutlich umgekehrte Fall einer von Schellinks begonnenen, von Esselens vollendeten Zeichnung: British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1856,0614.155, Ausst.-Kat. London 1987, Nr. 117; auf diese Zeichnung verwies auch Stijn Alsteens (Rezession): Erlend de Groot and Peter van der Krogt, The Atlas Blaeu-van der Hem of the Austrian National Library, in: Master Drawings 48, S. 105-120, S. 115.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, Pinsel in Grau und Braun über Graphit; Einfassungslinien (Feder in Braun) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22837 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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