Pieter Jacobsz. van Laer, (?)
Nicolaes Berchem, ehemals zugeschrieben

Am Boden sitzender Bauer, einen Strumpf anziehend, um 1642-1644

Die Studie galt spätestens seit ihrer Inventarisierung durch Harzen als Gegenstück zu Inv.-Nr. 22802 aufgrund der Übereinstimmungen in Thema, Technik und Format. Daher wurde sie von Eckhard Schaar im Anschluss an die Neuzuschreibung von Inv.-Nr. 22802 ebenfalls Nicolaes Berchem zugewiesen. Übersehen wurden dabei allerdings grundsätzliche Unterschiede in der Behandlung der Figur: zurückhaltender eingesetzte Konturlinien, differenziertere Modellierung, das insgesamt sicherere Gefühl für die Proportionen. Von kleineren Korrekturen abgesehen, kommen Pentimenti im eigentlichen Sinne auf dieser Zeichnung nicht vor. Unterschiede finden sich darüber hinaus in dem hier ganz auf die Figur ausgerichteten Fokus, während der sitzende Jüngling von Inv.-Nr. 22802 in einen szenischen Zusammenhang gestellt wurde.
Auch zu späteren Berchem-Zeichnungen besteht keine direkte stilistische Verbindung. So haben beispielsweise die energischen, ausdrucksstarken Konturen auf Inv.-Nr. 21708 und 21709 eine ungleich prägendere Funktion als auf vorliegender Studie. Eine Zuschreibung an Berchem kann aus diesen Gründen ausgeschlossen werden.
Deutlich näher steht unserer Zeichnung eine Figurenstudie, die aufgrund ihrer alten Bezeichnung Pieter van Laer zugeschrieben wird.(Anm.1) Direkt vergleichbar sind die feinen, stellenweise gedoppelten Konturen, die geschlossenen Umrisse der Hände, die flächige, sensible Modellierung der Kleidung und das diffus angelegte Haar. Gewandfalten und Nahtstellen werden knapp und präzise akzentuiert. Die Einbindung in den Raum wird durch wenige breite Schraffurlagen angedeutet.
Die mögliche Autorschaft Van Laers wird durch zwei Motivübernahmen indirekt bestätigt, wenn man nicht das Motiv des seinen Strumpf richtenden Bauern dem gängigen Figurenrepertoire der Italianisanten, also einem werkübergreifenden Motivfundus zuordnen will.
Zum einen begegnet die Figur, in der Körperhaltung nahezu übereinstimmend, als rastender Jäger auf einem Gemälde, das heute dem jungen Anton Goubau zuge-schrieben wird und in Ikonographie und Komposition deutlich von Werken Pieter van Laers abzuleiten ist.(Anm.2)
Zum anderen findet sich, im Habitus unserer Zeichnung eng verwandt, ein bärtiger, seinen Strumpf richtender Mann im rechten Vordergrund einer um 1670 anzusetzenden „Jagdszene“ des Nicolaes Berchem, etwas stärker bildauswärts ausgerichtet als auf der Hamburger Skizze.(Anm.3) Der – gemessen an der Eleganz der übrigen Protagonisten des Bildes – befremdlich altmodische Charakter dieser schlichten Figur könnte in der Tat durch den Rückgriff auf die vermutlich in den 1640er Jahren entstandene Hamburger Skizze zu erklären sein, als späte Referenz an Pieter van Laer, den Wegbereiter des italianisierenden Genres.(Anm.4) Dies wäre ein keineswegs ungewöhnliches Vorgehen für Berchem, der seine eigenen Figurenstudien sorgfältig aufbewahrte, um zu verschiedenen Zeiten auf sie zurückgreifen zu können (vgl. Inv.-Nr. 21708). Sollte Berchem also tatsächlich vorliegende Studie gekannt, wenn nicht sogar besessen haben, könnte dies auch die alte Assoziation mit Inv.-Nr. 22802 erklären. Eine gemeinsame Provenienz beider Blätter nachzuweisen ist indes nicht möglich aufgrund der in den Auktionskatalogen des 17. und 18. Jahrhunderts meist nur knapp beschriebenen Figurenstudien.

1 Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1905-183, Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, bearb. Peter Schatborn, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, Nr. 61; Marijn Schapelhouman, Peter Schatborn: Dutch Drawings of the Seventeenth Century in the Rijksmuseum Amsterdam. Artists born between 1580 and 1600, London 1998, Nr. 222. Auf diesen Zusammenhang verwies die Verfasserin in einem Brief an Eckhard Schaar, 31. 1. 1997, Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts.
2 „Rast nach der Jagd“, Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Corsini, Inv.-Nr. 513, I Bamboccianti. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock, hrsg. v. David A. Levine, Ekkehard Mai, Ausst.-Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Utrecht, Centraal Museum, 1991/92, Nr. 14.3, abweichend kostümiert, mit längerem Haar und stärker südländischeren Zügen.
3 „Landschaft mit Hirschjagd“, Houston, Museum of Fine Arts, Inv.-Nr. 2001-81, Nicolaes Berchem. Im Licht Italiens,bearb. v. Pieter Biesboer, Luuk Pijl, Annemarie Stefes, Gerdien Wuestman u.a Ausst.-Kat. Haarlem, Frans Hals Museum; Zürich, Kunsthaus; Schwerin, Staatliches Museum, Gent 2006, Nr. 44, Abb. S. 85.
4 Ein vergleichbares Zitat vermutlich Van Laerscher Figuren konnte Peter Schatborn im Œuvre des Philips Wouwerman nachweisen, vgl. Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, bearb. Peter Schatborn, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, S. 62.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide, weiß gehöht auf blauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 138mm x 147mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22801 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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