Cornelis Saftleven, Kopie?

Stehender Jüngling im Inneren eines Schweinestalles

Die alte Zuschreibung an Cornelis Saftleven erklärt sich aus dem Motiv des Scheuneninterieurs, das zu zu seinen bevorzugten Themen gehörte. Allerdings sind nur wenige gezeichnete Darstellungen erhalten.(Anm.1) Unser Blatt wurde von Schulz nicht in den Corpus der Saftleven-Zeichnungen aufgenommen. Gegen des Künstlers eigene Hand sprechen Schwächen in der Anatomie wie die im Verhältnis zu den Armen überlängten Beine des jungen Mannes und sein perspektivisch wenig überzeugend auf einen schräg gestellten Balken gesetzter rechter Fuß. Nicht immer systematisch und bisweilen zaghaft wirkt die Schraffur, und den Formen mangelt es an Spannkraft. Auch die räumliche Anlage des Gebäudes bereitete dem Zeichner Probleme, die Übergänge zwischen Dach und Schweinekoben sind perspektivisch kaum herausgearbeitet. Diese Schwächen werden deutlich im Vergleich mit gesicherten Scheuneninterieurs der Saftleven-Brüder.(Anm.2) Vielleicht weisen die formalen Anklänge an die Handschrift Cornelis Saftlevens auf eine gezeichnete Vorlage, wenn man die Unsicherheiten der Zeichnung als Indiz für Kopistenwerk bewerten möchte.(Anm.3)
Anders als auf vielen gleichzeitig entstandenen Scheuneninterieurs stehen hier nicht die stilllebenhaften Elemente im Vordergrund.(Anm.4) Vielmehr liegt der Fokus auf dem jungen Mann, der sich in seinem Habitus von den sonst üblichen bäuerlichen Figuren unterscheidet. Sein trauriger Ausdruck in Verbindung mit den im Hintergrund dargestellten fressenden Schweinen ließe sich assoziieren mit der biblischen Geschichte vom „Verlorenen Sohn unter den Schweinen“ (Lukas 15, 11–21). Diesem Thema widmete Herman Saftleven, der jüngere Bruder des Cornelis, ein 1638 datiertes Gemälde, das sich formal der Interieurgruppe anschließen lässt.(Anm.5)

Annemarie Stefes

1 Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, S. 7 und 51, vgl. ebd. Nr. 221, 223, 229, 235–237
2 Vgl. Herman Saftlevens 1630 datiertes „Scheuneninterieur“ auf Pergament, Köln, Wallraf-Richartz Museum & Fondation Corboud, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Z 1806, Robels 1983, Nr. 239. Vgl. auch die spätere Darstellung gleicher Thematik in derselben Sammlung, Inv.-Nr. Z 1807, Hella Robels: Niederländische Zeichnungen vom 15. bis 19. Jahrhundert im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, Köln 1983, Nr. 240; vgl. Cornelis Saflevens „Scheuneninterieur“, um 1636, London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1836,0811.506, Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 229 oder die ihm zugeschriebene Zeichnung aus der ehemaligen Sammlung Unicorno, Aukt.-Kat. Amsterdam, Sotheby’s, 2. 11. 2004, Nr. 74; vgl. ebenfalls die technisch verwandte „Kirchenruine und Schuppen“, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 13803, Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 380.
3 Die mit kurz angerissenem Strich markierte Physiognomie des jungen Mannes erinnert an Figurenstudien wie den „Stehenden Mann“, Amsterdams Historisch Museum, Inv.-Nr. TA 18054, Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 39, Ben Broos, Marijn Schapelhouman: Nederlandse Tekenaars geboren tussen 1600 en 1660, Oude tekeningen in het bezit van het Amsterdams Historisch Museum, waaronder de collectie Fodor, Bd. 4, Amsterdam/Zwolle 1993, Nr. 113. – Gegen die theoretisch ebenfalls mögliche Einordnung als Jugendarbeit spricht die – im Gegensatz zu sicheren Frühwerken Saftlevens – hier nicht besonders ausgeprägte zeichnerische Reife, vgl. Inv.-Nr. 22477 und Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, S. 46–47.
4 Vgl. mit dem Gemäldefragment Herman Saftlevens in der Hamburger Kunsthalle, Inv.-Nr. 776, Thomas Ketelsen: Vom Verschwinden der Wege, in: Böhmen liegt am Meer. Die Erfindung der Landschaft um 1600, Ausst.-Kat. Hamburg 1999, S. 7-37, S. 245–246, aber auch mit Gemälden von François Ryckhals (1609–1647), David Teniers und Pieter de Bloot (1601/02–1658), vgl. Margret Klinge-Gross: Herman Saftleven als Zeichner und Maler bäuerlicher Interieurs, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 38, 1976, S. 69-92, Abb. 40, 35 und 34; dort spielen die derben Figuren eine ungleich größere Rolle als auf unserem Blatt.
5 Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 2240, Wolfgang Schulz: Herman Saftleven 1609-1685. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin 1982, Nr. 8.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide 193mm x 302mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22794 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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