Johannes Wierix

Diana und Aktäon, um 1600

Nachdem Jan Wierix über viele Jahre nach den Entwürfen anderer Künstler gestochen hatte, schuf er gegen Ende des 16. Jahrhunderts aufwändige Federzeichnungen auf Pergament in eigener Invention. Zu dieser Gruppe gehört die vorliegende Darstellung von „Diana und Aktäon“ nach einer von Ovid berichteten Sage: Von dem Jäger Aktäon zufällig im Bade überrascht, bespritzt die keusche Göttin den Eindringling mit Wasser, woraufhin er sich in einen Hirschen verwandelt, der später von seinen eigenen Hunden zerfleischt werden sollte.(Anm.1)
Im Stil vergleichbare mythologische Zeichnungen des Künstlers befinden sich z. B. in Paris und Wien.(Anm.2) Die an Kupferstiche erinnernde Präzision des Federstriches deutet nicht, wie Stubbe für das Hamburger Blatt irrtümlich annahm, auf eine Funktion als Stechervorlage, sondern resultiert aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Gattung als solcher.(Anm.3) Darauf verweist auch die Signatur, die sich inhaltlich und formal an Stichinschriften orientiert.(Anm.4) Derartige „Federkunststücke“, wie sie in den nördlichen Niederlanden etwa gleichzeitig von Hendrick Goltzius eingeführt wurden,(Anm.5) galten als wertvolle Sammlerstücke.
Die Hamburger Zeichnung entstand vermutlich nach den beiden größeren Varianten von 1598 bzw. 1599, die sich heute in New Yorker Privatbesitz bzw. im British Museum befinden.(Anm.6) Auch hier verlegte Wierix – dem Beispiel des Frans Floris folgend – die eigentlich in einer Grotte angesiedelte Begegnung zwischen Diana und Aktäon an einen Brunnen in parkähnlicher Umgebung.(Anm.7) Jedoch hat auf dem Hamburger Blatt die Verwandlung in einen Hirschen noch nicht stattgefunden, und Aktäon trägt hier individuelle Züge: Die Tränensäcke und der um 1600 modische Schnurrbart deuten auf konkreten Porträtbezug.(Anm.8) Eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit besteht zu dem von Wierix gestochenem Bildnis des Joachim de Buschere (H. 2067, 1602), der im Wappenschild einen geflügelten Windhund und drei Jagdhörner führte (H. 2068) – eine nur zufällige Häufung von Hinweisen auf die Jagd?
Möglicherweise lässt sich das Hamburger Blatt in Antwerpener Sammlungen des frühen 17. Jahrhunderts nachweisen, wenn sich diese Beschreibungen nicht auf eine der anderen Fassungen beziehen: Eine „Figur von Acteon und nackten Frauen bei einem Brunnen“ wird im Inventar des Philips van Valckenisse (1614) erwähnt, ein „mit der Feder von Hans Wiericx gemachtes Bild von Acteon und Diana in einem Rahmen von Ebenholz unter Moskauer Glas, auf hundertzwanzig Gulden geschätzt“ ist 1621 in der Sammlung des Nicolaas Cornelisz. Cheeus dokumentiert.(Anm.9)

Annemarie Stefes

1 Ovid, Metamorphosen3 , 138-253
2 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. REC 127, Emmanuel Starcky: Ecole allemande, des Anciens Pays-Bas, flamande, hollandaise et suisse XVe-XVIIIe siècles. Supplément aux inventaires publiés par Frits Lugt et Louis Demonts., Musée du Louvre, Cabinet des Dessins. Inventaire général des dessins des écoles du Nord, Paris 1988, Nr. 113; Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 7389, Karel G. Boon: The Netherlandish and German Drawings of the XVth and XVIth Centuries of the Frits Lugt Collection, 3 Bde., Paris 1992, Nr. 238; Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 8181, Otto Benesch: Die Zeichnungen der Niederländischen Schulen des XV. und XVI. Jahrhunderts, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. 2, Wien 1928, Nr. 211.
3 Vgl. Bevers, in: I Bamboccianti. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock, hrsg. v. David A. Levine, Ekkehard Mai, Ausst.-Kat. Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Utrecht, Centraal Museum, 1991/92, S. 511.
4 Vgl. Carl van de Velde: Jan Wierix: The Creation and the Early History of Man 1607-1608, New York 1990, S. XXI Anm. 1 sowie Christiane Wiebel: Die Brüder Wierix. Graphik in Antwerpen zwischen Bruegel und Rubens, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen der Veste Coburg, Coburg 1995, S. 15.
5 Dabei unterscheidet sich die miniaturhafte Ausführung von den großformatigen Federkunststücken des Holländers und ist vielleicht als „Markenzeichen“ des Künstlers zu werten, vgl. Christiane Wiebel: Die Brüder Wierix. Graphik in Antwerpen zwischen Bruegel und Rubens, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen der Veste Coburg, Coburg 1995, S. 15. Vgl. auch Carl van de Velde: Jan Wierix: The Creation and the Early History of Man 1607-1608, New York 1990, S. XIV und Zsuzsanna van Ruyven-Zeman: "Stuckxken met de penne": Drawings by the Engraver Johannes Wierix, in: Master Drawings 42, 2004, S. 237-257, S. 251.
6 New York, Sammlung Richard L. Feigen, Inv.-Nr. 14973 D (216 x 283 mm), Carl van de Velde: Jan Wierix: The Creation and the Early History of Man 1607-1608, New York 1990, Abb. 3; London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1946,0713.190 (287 x 369 mm). In einer vierten Variante wird die Göttin beim Bade in einem Weiher überrascht, ehemals Kunsthandel Alain Moatti, Burlington Magazine 114, Juni 1972, suppl. Taf. XXV. Wie Carl van de Velde: Jan Wierix: The Creation and the Early History of Man 1607-1608, New York 1990, S. X feststellte, lagen im Œuvre Wierix‘ oft Jahre zwischen den verschiedenen Varianten; vgl. auch Diane De Grazia, Carter E. Foster: Master Drawings from the Cleveland Museum of Art, Ausst.-Kat. Cleveland, Cleveland Museum of Art, New York, Pierpont Morgan Library, Cleveland 2000, Nr. 70 mit Abb. 1.
7 Vgl. Carl Van de Velde: Frans Floris (1519/20-1570) Leven en Werken, Brüssel 1975, Nr. S 164 sowie ebd., Nr. P 44.
8 Vgl. auch Zsuzsanna van Ruyven-Zeman: "Stuckxken met de penne": Drawings by the Engraver Johannes Wierix, in: Master Drawings 42, 2004, S. 237-257, S. 245–146.
9 Siehe Anm. 1 und 2.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzer Kreide auf Pergament; Einfassungslinien in schwarzer Kreide 174mm x 244mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22725 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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