Salomon de Bray, zugeschrieben
Jacob Ochtervelt, ehemals zugeschrieben

Knabe am Schreibtisch, um 1640 - 1645

Das Motiv des nachdenklichen Knaben am Studiertisch folgt einem um 1630 beliebten Motiv, zu dessen bekanntesten Vertretern der „Junge Mann am Schreibtisch“ des Jan Davidsz. de Heem (1628) und Pieter Coddes etwas später anzusetzender „Junger Mann mit Pfeife“ gehören.(Anm.1) Die offensichtlichen Bezüge zu der ikonographischen Tradition der „Melancolia“ ließen diesen Figurentypus darüber hinaus zu einem geeigneten Motiv der künstlerischen Selbstdarstellung werden.(Anm.2)
Auszuschließen ist die traditionelle Zuschreibung unseres Blattes an Jacob Ochtervelt (1634–1682). Den wenigen ihm zugeschriebenen Zeichnungen fehlt die stilistische Relevanz zu unserem Blatt.(Anm.3) Kürzlich brachte Michiel Plomp die Zeichnung mit Leendert van der Cooghen in Verbindung, was angesichts der Nähe zu einem auch im Motiv verwandten „Mädchenbildnis“ von 1654 grundsätzlich denkbar erscheint.(Anm.4) Allerdings deutet die Tracht des dargestellten Knaben auf eine Entstehung vor 1645. Im Vergleich zu den frühesten Zeichnungen Van der Cooghens wie der 1651 datierten Inv.-Nr. 22091 ist vorliegendes Blatt deutlich großzügiger angelegt.(Anm.5) Eher wäre der Urheber der Zeichnung unter den Vorläufern Van der Cooghens zu suchen, wie schon Van Gelder vorschlug, der das Blatt in die Nähe der Haarlemer Klassizisten Pieter de Grebber, Salomon de Bray und Pieter Saenredam stellte.(Anm.6) Einen im Typus verwandten kurzhaarigen Knaben porträtierte De Bray in einem Gemälde von 1636.(Anm.7) Auch stilistisch finden sich Bezüge zu der Handschrift dieses Künstlers: Ein gezeichnetes Damenporträt aus dem Jahre 1641 (Anm.8) ist unserem Blatt vergleichbar in den geschwungenen, bisweilen gedoppelten Konturen in kantig aufgesetzter Kreide, der stellenweise flächig verriebenen Schraffur sowie der im Bereich des jeweilig linken Ärmels stellenweise aus gitterartigen Kreuzlagen gebildeten Schatten. Eine für vorliegendes Blatt abzuleitende Datierung in die erste Hälfte der 1640er Jahre ginge mit Tracht und Wasserzeichen konform.(Anm.9) Damit wäre auch eine Erklärung für die Nähe zu Van der Cooghen gegeben, der sich erwiesenermaßen in seinem Frühwerk stark an Salomon de Bray orientierte.(Anm.10)

Annemarie Stefes

1 Oxford, Ashmolean Museum, Inv.-Nr. WA 1940.2.34; Lille, Palais des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 240, Senses and Sins. Dutch Painters of Daily Life in the Seventeenth Century, Ausst.-Kat. Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Frankfurt am Main, Städel Museum und Städtische Galerie, Ostfildern-Ruit 2004, Nr. 9 mit Abb. 1.
2 Vgl. Hans-Joachim Raupp: Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert, Hildesheim u. a., Univ., Diss. 1984, S. 226–241; vgl. auch Michael Sweerts, „Nachdenklicher Mann am Schreibtisch“, 1656, St. Petersburg, Staatliches Museum Eremitage, Inv.-Nr. 3654, Rolf Kultzen: Michael Sweerts, Brüssel 1618 - Goa 1664, Doornspijk 1996, Nr. 85.
3 Vgl. etwa die „Tricktrackspieler“, Aukt.-Kat. Amsterdam, Sotheby’s, 2. 11. 2004, Nr. 68 mit der gleichmäßigen Lavierung und drahtig-feinen Federkonturen.
4 Michiel Plomp in einer E-Mail vom 18. 3. 2004; „Mädchenbildnis“, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. LvdC 4, Peter Schatborn: Dutch Figure Drawings from the seventeenth century, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, Nr. 31.
5 Michiel Plomp (siehe Anm. 4) sah einen Kontext zu den jedoch gleichermaßen entschiedener und feiner gearbeiteten Knabenbildnissen Van der Cooghens im Groninger Museum, Inv.-Nr. 1931-141 bzw. Leiden, Prentenkabinet der Universiteit, Inv.-Nr. PK-T-AW-427, Coenen 2004, Nr. A 30 und A 31.
6 Briefliche Mitteilung vom 29. 10. 1967.
7 Standort unbekannt, Joachim Wolfgang von Moltke: Salomon de Bray, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 11/12, 1938-1939 (ersch. 1941), S. 309-420, Nr. 90.
8 „Sitzende Frau mit Kissen auf dem Schoß“, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1954-200, Marijn Schapelhouman, Peter Schatborn: Dutch Drawings of the Seventeenth Century in the Rijksmuseum Amsterdam. Artists born between 1580 and 1600, London 1998, Nr. 65.
9 Peter Schatborn, mündlich, 16. 5. 2009, sah hier eher Jan de Bray am Werk, was grundsätzlich bestätigt würde durch die Nähe zu einem Knabenbildnis aus dem Jahre 1654 (im fest umrissenem Gesicht und melancholischem Ausdruck): Den Haag, Koninklijk Kabinet van Schilderijen Mauritshuis, Inv.-Nr. 808, Pieter Biesboer, Friso Lammertse, Fred G. Meijer: Salomon, Jan, Joseph en Dirck de Bray. Vier schilders in één gezin, Ausst.-Kat. Haarlem, Frans Hals Museum, London, Dulwich Picture Gallery, Zwolle 2008, Nr. 17. Angesichts der auf eine Entstehung in den 1640er Jahren weisenden Indizien soll hier jedoch dem Vater der Vorzug gegeben werden.
10 Zu seinen frühesten bekannten Zeichnungen gehörten zwei Kopien nach Gemäldefiguren Salomon de Brays, vgl. Schatborn, in: Peter Schatborn: Dutch Figure Drawings from the seventeenth century, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, S. 102.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide auf gelblichem Papier; Einfassungslinien (schwarze Kreide und Feder in Schwarz) 232mm x 179mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22592 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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