Ludolf de Jongh, zugeschrieben
Cornelis Saftleven, Umkreis

Sitzender Mann mit Pfeife

Harzen inventarisierte die Zeichnung als „Jan Steen“. Eine ältere, heute kaum mehr zu entziffernde Beischrift brachte sie mit Jacob Backer in Verbindung, und Schulz (1978) sah in dem Blatt eine Arbeit Cornelis Saftlevens. Eine gewisse Verwandtschaft besteht zu dessen 1660 datierter Darstellung eines sitzenden Mannes mit langem Haar, doch verraten die flüchtig übereinander gelegten, stellenweise nervös bewegten Konturlinien der Hamburger Zeichnung eine grundsätzlich andere Auffassung als die sauber abschattierte Saftleven-Figur in ihrer kompakten Körperlichkeit.(Anm.1) Erschwert wird die Zuschreibung an Saftleven durch Schwächen in Proportion und Anatomie, wie z. B. im aufgestützten linken Arm mit seinen Pentimenti und dem überlängten rechten Oberarm. Auch die Wiedergabe des linken Beines, dessen Konturen durch die Verstrebungen des Stuhles zu erkennen sind, bereitete dem Künstler offensichtlich Schwierigkeiten.
Für die ungewöhnliche Pose des von hinten gesehenen Rauchers, der seinen Ellenbogen auf der runden Rückenlehne eines offensichtlich dreieckigen Stuhles aufgesetzt hat, fühlt man sich am ehesten an Werke des Saftleven-Schülers Ludolf de Jongh erinnert.(Anm.2) Dessen zeichnerisches Werk ist nur ansatzweise erforscht, und die wenigen ihm sicher zuschreibbaren Blätter sind stilistisch heterogen.(Anm.3) So besteht kein unmittelbarer Bezug zu den eleganten Figurenstudien in Rotterdam und Paris, während die flüchtiger gearbeitete „Studie zweier Männer“ in Berlin unserem Blatt schon deutlich näher kommt.(Anm.4) Diese Zeichnung, die von Peter Schatborn erstmals mit De Jongh in Verbindung gebracht wurde, galt zuvor ebenfalls als Arbeit Cornelis Saftlevens. Sie wirkt in Konturen und Schraffur entschiedener; Füße und Hände sind als kompaktere Formen gegeben, doch finden sich in der Binnenzeichnung ähnlich nervös bewegte Linienzüge wie auf unserem Blatt,(Anm.5) und auch in ihrem Hang zu kontrastreicher Beleuchtung bei kräftiger Diagonalschraffur stehen sich beide Blätter nahe.(Anm.6) Bei einem frühen Ansatz unserer Zeichnung wären die Unterschiede prinzipiell durch stilistische Weiterentwicklung zu erklären, doch fehlen weitere Anknüpfungspunkte, um eine Zuordnung vorbehaltsfrei vornehmen zu können.

Annemarie Stefes

1 Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1889-A-2001, Wolfgang Schulz: Cornelis Saftleven 1607-1681. Leben und Werke. Mit einem kritischen Katalog der Gemälde und Zeichnungen, Berlin u. a. 1978, Nr. 34. Vgl. auch den thematisch verwandten, doch deutlich kompakter konturierten „Raucher“ von 1636, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1989-101, J. F. Heijbroek, F. L. Bastet: De Verzameling van Mr. Carel Vosmaer (1826-1888), Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, ’s-Gravenhage 1989, Nr. 20.
2 Verwandte Gemäldefiguren begegnen z. B. auf dem „Jäger im Wirtshaus“, 1658, Groningen, Museum van Oudheden, Roland E. Fleischer: Ludolph de Jongh (1616-1679). Painter of Rotterdam, Dornspijk 1989, Abb. II. Auch Jochai Rosen assoziierte unser Blatt spontan mit Figuren Ludolf de Jonghs und verwies gleichzeitig auf die seltene und ungewöhnliche Körperhaltung des Dargestellten (mündlich, 4. 2. 2009). – Nach Arnold Houbraken: De groote Schouburg der Nederlantsche konstschilders en schilderessen … zijnde een vervolg op het schilderboek van K. van Mander, 3 Bde., ’s Gravenhage 1718-1721, Bd. 2, S. 33 wurde De Jongh von Saftleven in der Zeichenkunst unterwiesen.
3 Vgl. Peter Schatborn: Figuurstudies van Ludolf de Jongh, in: Oud Holland 89, 1975, S. 79-85 und Roland E. Fleischer, Stephen Reiss: Attributions to Ludolf de Jongh: some old, some new, in: The Burlington Magazine 135, 1993, S. 668-677.
4 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 2891 (188 x 126 mm), Peter Schatborn: Figuurstudies van Ludolf de Jongh, in: Oud Holland 89, 1975, S. 79-85, Abb. 3. Die beiden signierten Studien befinden sich in Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. LdJ 2 und Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 5523, ebd. Abb. 1 und 2.
5 Vgl. den linken Ärmelansatz mit den Konturen im Brustbereich des Knaben auf der Berliner Zeichnung.
6 Man beachte auch physiognomische Eigenheiten wie die breiten Augenlider. Weiter entfernt ist von unserem Blatt De Jonghs „Studie eines trinkenden Mannes“ in Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Nr. Tu 82 b,20, Peter Schatborn: Figuurstudies van Ludolf de Jongh, in: Oud Holland 89, 1975, S. 79-85, Abb. 5.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide auf hellbraunem Papier; Einfassungslinien mit Graphit 233mm x 165mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22554 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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