Rembrandt Harmensz. van Rijn, (?)

Ziehbrunnen vor einem Bauernhaus, um 1639

In der Forschung ist man geteilter Meinung über die Autorschaft dieser Zeichnung. Zweifel an Rembrandts Hand wurden geäußert von Lugt und Stechow,(Anm.1) sowie kürzlich von Holm Bevers auf dem Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.(Anm.2) Bevers beanstandete in erster Linie das auffallend flächige, kaum transparente und wenig differenzierende Lavis sowie die dichten Parallelschraffen. In diesen Eigenschaften unterscheidet sich unser Blatt von einem ähnlich nahsichtig aufgenommenen „Bauernhaus im Sonnenlicht“, dem es noch im Wiener Ausstellungskatalog von 2004 gegenübergestellt wurde. Dort wurden das um 1636 datierte „Bauernhaus“ und die um 1635/40 angesetzte Hamburger Zeichnung den frühesten Naturstudien des Künstlers zugerechnet.(Anm.3)
Die von verschiedener Seite beobachteten Unterschiede zwischen beiden Zeichnungen müssen grundsätzlich nicht als Argumente gegen die traditionelle Zuweisung an Rembrandt bewertet werden, sondern könnten auch auf abweichende unterschiedliche Entstehungszeiten zurückgeführt werden, denn Rembrandt benutzte die hier verwendete Eisengallustinte erst ab ca. 1638/39. Ebenso wären sie als Folge der verschiedenen Schwerpunkte zu erklären: Auf der Budapester Zeichnung liegt das Hauptinteresse auf den Lichtwirkungen, auf dem Hamburger Blatt hingegen auf der Wiedergabe der Architektur.(Anm.4)
Unter den Rembrandt zugeschriebenen Zeichnungen kommt unser Blatt der Amsterdamer „Kuh in einem Stall“ so nahe, dass man zweifelsfrei von einem gemeinsamen Urheber ausgehen kann.(Anm.5) In beiden Fällen sind die einzelnen Formelemente klar umrissen, die Linienführung wirkt schwungvoll, entschieden und sicher.(Anm.6) Schatborn beobachtete vergleichbare Wesenszüge auf der Londoner Entwurfszeichnung zu einer um 1639 entstandenen Radierung Rembrandts (H. 192).(Anm.7) Im Bereich der Landschaftskunst wurde unser Blatt darüber hinaus assoziiert mit einigen Naturaufnahmen von verfallenen Bauernhäusern aus der Gegend von Gooi.(Anm.8)
Abzulehnen ist dagegen ein in der älteren Literatur aufgestellter funktionaler Zusammenhang mit Rembrandts 1633 radiertem „Barmherzigen Samariter“ (H. 90) – die formalen Bezüge in der Darstellung des ummauerten Ziehbrunnens vor einem Bauernhaus mit Treppenaufgang sind lediglich allgemeiner Natur.(Anm.9)
Das Hamburger Blatt wurde von Lambert Doomer kopiert unter Ergänzung zweier Staffagefiguren. Es wird angenommen, dass Doomer die vorliegende Zeichnung 1658 auf der Versteigerung von Rembrandts Besitz erwarb.(Anm.10)

Annemarie Stefes

1 Undatierte Karteinotiz im Archiv des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle
2 Kürzlich bestätigt in einer E-Mail vom 17. 3. 2010. Bevers würde eher die Hand Gerbrand van den Eeckhouts in Betracht ziehen wollen.
3 Budapest, Szépmüvészeti Múzeum, Inv.-Nr. 1576, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 2, Nr. 464, Rembrandt, hrsg. von Klaus Albrecht Schröder, Marian Bisanz-Prakken, Ausst.-Kat. Wien, Albertina, Wolfratshausen 2004, Nr. 152.
4 Hinweis von Michiel Plomp auf dem Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; die Unterschiede zwischen beiden Zeichnungen wurden nicht nur von Holm Bevers, sondern auch von Peter Schatborn und Egbert Haverkamp Begemann betont (“andere Hand oder andere Zeit“).
5 Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1930-58, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 2, Nr. 393, Peter Schatborn: Tekeningen van Rembrandt, zijn onbekende leerlingen en navolgers, Catalogus van de Nederlandse Tekeningen in het Rijksprentenkabinet, Rijksmuseum, Amsterdam, Bd. 4, Amsterdam 1985, Nr. 15. Dieser Ansicht waren auch Peter Schatborn, Holm Bevers und Egbert Haverkamp Begemann (siehe Anm. 4), wobei Holm Bevers die Amsterdamer „Kuh“ ebenfalls aus Rembrandts Œuvre ausgliedern würde (Mitteilung per E-Mail vom 17. 3. 2010). – Weniger eng ist m. E. dagegen der von Holm Bevers auf dem Hamburger Symposium postulierte und in einer E-Mail vom 25. 2. 2008 bestätigte Kontext zu einer „Landschaft mit Kühen“ in den Staatlichen Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 2314, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 2, Nr. 465, Holm Bevers: Rembrandt. Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett, Ostfildern 2006 deest. Von unserer Zeichnung unterscheidet sich die in Struktur und Farbintensität deutlich größere Variationsbreite des Berliner Blattes, das von Martin Royalton-Kisch: Rembrandt's Landscape drawings, in: Drawing: Masters and Methods - Raphael to Redon. Papers presented to the Jan Woodner Master Drawings Symposium at the Royal Academy of Arts, London 1992, S. 117 den frühesten Landschaftszeichnungen Rembrandts zugerechnet wurde. Bevers sah für diese Zeichnung und anzuschließende Blätter in Haarlem und Weimar eher die Hand des Gerbrandt van den Eeckhout am Werk.
6 Diese „extreme Sicherheit“ in der Linienführung wurde auf dem Hamburger Symposium 2008, siehe Anm. 4, in besonderer Weise hervorgehoben von Marian Bisanz-Prakken.
7 „Der Künstler zeichnet nach dem Modell“, London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. Gg,2.248, Martin Royalton-Kisch: Drawings by Rembrandt and His School in the Briish Museum, Online-Publikation 2009, Nr. 24; Peter Schatborn in einer Mitteilung per E-Mail vom 25. 2. 2008.
8 Röver-Kann, in: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 112 mit Verweis auf eine Zeichnung in Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Inv.-Nr. 85.GA.93, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 4, Nr. 796; vgl. auch Bisanz-Prakken, in: Rembrandt, hrsg. von Klaus Albrecht Schröder, Marian Bisanz-Prakken, Ausst.-Kat. Wien, Albertina, Wolfratshausen 2004, S. 316 mit Verweis auf Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 2, Nr. 462 a, Bd. 4, Nr. 794, 795.
9 Darauf verwies Bisanz-Prakken, in: Rembrandt, hrsg. von Klaus Albrecht Schröder, Marian Bisanz-Prakken, Ausst.-Kat. Wien, Albertina, Wolfratshausen 2004, S. 316 im Gegensatz zu Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 2, S. 107. Rembrandts Radierung wurde vermutlich vorbereitet in einer verschollenen Grisaille Rembrandts, die durch eine Govert Flinck zugeschriebene Kopie in London dokumentiert wird, Wallace Collection, Inv.-Nr. 203, RRP Bd. 2, Nr. C 48, vgl. ebd. S. 316, Anm. 5 und Röver-Kann, in: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 112 mit Anm. 2.
10 Amsterdam, Stichting P. & N. de Boer, Peter Schatborn: Wolfgang Schulz, Lambert Doomer: Sämtliche Zeichnungen, Simiolus 9, 1977, S. 48-55, Abb. 1, vgl. ebd. S. 48. Die mit unserer Zeichnung übereinstimmende Lavierung spricht für die Gleichzeitigkeit von Feder- und Pinselarbeit, anders als von Röver-Kann behauptet, in: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000.

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Braun (Eisengallustinte) auf hellbraunem Papier, stellenweise überarbeitet mit Deckweiß; Einfassungslinien (Feder in Schwarz, links und oben auch mit Rötel) 179mm x 235mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22419 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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