Rembrandt Harmensz. van Rijn, Zeichner

Christus im Garten Gethsemane, um 1657

In der Nacht vor seinem Tod wusste Jesus allein um die Dimension des vor ihm liegenden Leidens. Während seine Jünger im Garten Gethsemane am Fuße des Ölbergs schliefen, suchte er die Nähe Gottes im Gebet: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ (Lukas 22, 39–47). Dieser Kelch ist zu Füßen des Gottessohnes dargestellt, ebenso wie der Engel, der ihn dem Lukas-Evangelium zufolge stärkte. Hinter den schlafenden Jüngern erkennt man rechts die bereits herbeieilenden Häscher.
Zur Darstellung dieser Szene entfaltete Rembrandt ein breites Spektrum stilistischer Ausdrucksmöglichkeiten, von feiner Federschraffur über kräftige Linienzüge in Rohrfeder und Pinsel bis hin zu einigen mit dem Finger verriebenen Partien. Dafür wird auf Lavierung ganz verzichtet. Diesen ausdrucksvollen Zeichenstil, der in seiner Sperrigkeit Inv.-Nr. 22411 nahe steht, beschrieb Röver-Kann als den „verschiedenen Phasen und Schichtungen des biblischen Geschehens“ angemessen: „der erzählerischen Komponente auf der einen Seite, der Gebrochenheit und Trostbedürftigkeit Christi […] auf der anderen Seite“.(Anm.1)
Die zentrale Figurengruppe findet sich bereits vorgebildet in einer annähernd quadratischen Zeichnung aus den späten 1640er Jahren.(Anm.2) Dort fehlt allerdings der Ausblick auf Häscher und schlafende Jünger.
In seitengleicher Ausrichtung begegnen Jesus und der Engel auf einer um 1657 angesetzten Radierung Rembrandts bei abweichender Körperhaltung (H. 75, Inv.-Nr. 6189). Dort ist Jesus schräg dem Betrachter zugewandt, der Engel hingegen im Profil wiedergegeben. Auch wählte Rembrandt für die Radierung das Hochformat und versetzte Architekturkulisse und Hintergrundfiguren auf die rechte Seite; die Motive wurden dabei frei variierend übernommen. Beibehalten wurde hingegen die steil abfallende Böschung als Ort des nächtlichen Ringens mit von links einfallenden Lichtstrahlen – die restliche Darstellung wurde in flackerndes Helldunkel getaucht. Die Unterschiede zwischen Zeichnung und Radierung sind stärker als zwischen Inv.-Nr. 22414 und dem zugehörigen Druck. Trotzdem wurde unser Blatt in der Literatur zu den seltenen Radierungsentwürfen gerechnet.(Anm.3) Eher kann jedoch von einem „losen Zusammenhang“ die Rede sein,(Anm.4) zumal die Zeichnung im Charakter den eigenständigen Zeichnungen zu alttestamentlichen Begebenheiten entspricht. Stilistisch eng verwandt ist ein um 1656 anzusetzendes Blatt in Berlin.(Anm.5)

Annemarie Stefes

1 Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 126.
2 Cambridge, Fitzwilliam Museum, Inv.-Nr. 2140, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 3, Nr. 626.
3 Zuletzt von Gädeke, in: Rembrandt entdecken. Die 100 schönsten Radierungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Herwig Guratzsch, Ausst.-Kat. Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Köln 2006, S. 226, bei Nr. 92, und von Schatborn, in: Holm Bevers/Sölter 2008, Peter Schatborn, Barbara Welzel: Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Zeichnungen und Radierungen, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Amsterdam, Rijksmuseum, London, National Gallery, München u.a. 1991/92, S. 93.
4 Röver-Kann, in: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, bearb. v. Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000; Holm Bevers: Rembrandt. Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett, Ostfildern 2006, S. 173.
5 „Christus heilt Aussätzige“, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 5247, Otto Benesch: The Drawings of Rembrandt, 6 Bde., London 1954-57, Bd. 4, Nr. 900, Holm Bevers: Rembrandt. Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett, Ostfildern 2006, Nr. 50.

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Braun, stellenweise verwischt, mit Deckweiß stellenweise übergangen, Rahmenlinien mit Feder oder Pinsel in Braun 179mm x 298mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22413 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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