An Zwollo zählte die Zeichnung zu den eigenhändigen Arbeiten des Cornelis Massijs (1510/11–1556/57), nicht ohne auf die ungewohnte, etwas zittrige Manier hinzuweisen. Hierin unterscheidet sich das Blatt von den monogrammierten, 1540 entstandenen Zeichnungen des Künstlers in Brüssel und St. Petersburg sowie einer 1541 datierten Arbeit in Berlin.(Anm.1)
Auch wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass der ungewöhnlich dünne Baum im rechten Vordergrund nachträglich ergänzt wurde, wie von Anzelewsky vorgeschlagen wurde,(Anm.2) überwiegen die Unterschiede zu den genannten Zeichnungen. Dies sind in erster Linie die weniger klaren graphischen Strukturen – besonders auffällig in der Gestaltung von Laubwerk und Bodenwellen –, die zittrig und mehrfach mit der Feder nachgezogenen Gebäudekonturen und die „schwebenden“, kaum im Grund verwurzelten Baumstämme. Diese Partien sind auf einer Zweitfassung in Amsterdam überzeugender gelöst.(Anm.3) Im Gegensatz zu Zwollo, die dieses Blatt als Kopie nach Inv.-Nr. 22358 bezeichnete, sollte man angesichts der zahlreichen Abweichungen im Detail eher davon ausgehen, dass beide Zeichnungen variierend auf ein drittes Blatt, die heute verlorene Vorlage zurückgehen.(Anm.4) Boon hielt angesichts der für Massijs ungewöhnlichen Flachlandschaft eine Zuordnung in den Kreis um Patinir für naheliegend und bestätigte damit die von Harzen vorgenommene Zuordnung.(Anm.5) In diese Richtung dachte auch Thomas Ketelsen, der in unserem Blatt eine freie Paraphrase nach einer in Paris verwahrten Überschaulandschaft Patinirs sah (Anm.6) und auf die stilistische Nähe zu den allerdings weniger zaghaft wirkenden Zeichnungen des „Berliner Skizzenbuches“ verwies.(Anm.7) In der malerischen Schraffur des Baumschlages allerdings noch enger verwandt ist eine ehemals Patinir zugeschriebene, heute dem Meister des Errera-Skizzenbuches zugewiesene Zeichnung in Rotterdam.(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 „Hügellandschaft“, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts, Sammlung De Grez, Inv.-Nr. 4060/2464; „Felsige Flusslandschaft“, St. Petersburg, Staatliches Museum Eremitage, Inv.-Nr. 15297; „Waldige Hügellandschaft“, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 6527, Zwollo 1965, Abb. 3–5.
2 Pieter Bruegel als Zeichner, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Berlin 1975, Nr. 176.
3 „Landschaft mit Bauernhäusern am Flussufer“, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1912-14, Zwollo 1965, Abb. 15.
4 Hans Mielke (Rezension): K. G. Boon, Netherlandish Drawings of the Fifteenth and Sixteenth Century, 1978, in: Simiolus 11, 1980, S. 39-50, S. 46.
5 Ebd. mit Verweis auf verschiedene Gemälde des „Meisters der Halbfiguren“, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Inv.-Nr. 1743, und Standort unbekannt, Koch 1968, Nr. M. H.-L. 3, M. H.-L. 12 und M. H.-L. 13.
6 Ketelsen, in: Im Blickfeld. Böhmen liegt am Meer. Die Erfindung der Landschaft um 1600, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1999, S. 16, verwies auf Patinirs „Landschaft mit dem Hl. Hieronymus“, Paris, Musée du Louvre, Département des Peintures, Inv.-Nr. R. F. 2429; dies betrifft in erster Linie den Baum im Vordergrund und die Partie mit den von Bäumen gesäumten Weg, den Gebäuden am Teich und der Windmühle auf dem Hügel, vgl. Robert A. Koch: Joachim Patinir, Princeton 1968, Abb. 26.
7 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 79 C 2, vgl. Holm Bevers: The Antwerp Sketchbook of the Bles Workshop in the Berlin Kupferstichkabinett, in: Herri met de Bles. Studies and Explorations of the World Landscape Tradition, hrsg. von Norman E. Muller, Betsy J. Rosasco, James H. Marrow, Turnhout 1998, S. 39-50.
8 „Felslandschaft“ in Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. N 143, Zwollo 1965, Abb. 8, von Stefaan Hautekeete dem Errera-Meister zugeschrieben (Mitteilung per E-Mail, 15. 12. 2005). Vgl. auch eine Landschaft in der Art des Patinir, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 5468, Corpus Gernsheim 39198.

Details zu diesem Werk

• Beschriftung

  Beschriftung fremd: Verso unten links Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); unten rechts alte Zuschreibung: "Joach. Patenier f. c. 1500" (Bleistift, Kunsthalle)

• Wasserzeichen / Kettenlinien

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• Provenienz

  Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 49 als "Joachim Patenier": "Landschaft mit hohen Horizont wo ein breiter Strom sich in das Meer ergießt; im Mittelgrunde ein Niederländisches Dorf an einem Teiche wo rechts ein Castell sichtbar. Sehr delikat {mit} behandelte Federzeichnung. 10.3.6.10"; NH Ad: 02: 01, S. 264); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

• Bibliographie

  Netherlandish Drawings of the Fifteenth and Sixteenth Centuries, Karel G. Boon, 1978, S. 144 bei Nr. 400, Abb.-Nr.

  De Landschaptekeningen van Cornelis Massys, An Zwollo, 1965, S. 57, 64, Abb. S. 14, Abb.-Nr.

  Messer Ulisse Severino Da Cingoli, a Bypath in the History of Art, Jaap Bolten, 1969, S. 129, Abb. S. 1, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 2

  Il Paesaggio nel Disegno del Cinquecento Europeo; Accademia di Francia, Villa Medici, Rom, 1972, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 39 mit Abb.

  Pieter Bruegel als Zeichner, Bearbeitet von: Fedja Anzelewsky, Peter Dreyer, Lutz Malke, Hans Mielke, Konrad Renger, Matthias Winner; Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Berlin, 1975, Abb. S. 33, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 176

  Im Blickfeld. Böhmen liegt am Meer. Die Erfindung der Landschaft um 1600, Bearbeitet von: Thomas Ketelsen, mit einem Beitrag von Stefan Bartilla; Hamburger Kunsthalle, 1999, Abb. S. S. 16, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 7

  Vom Verschwinden der Wege, Thomas Ketelsen; Herausgeber: Hamburger Kunsthalle, 1999, S. 15-16, 22, Abb.-Nr.

  Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog II van Musscher - Zegelaar, Stefes, Annemarie; Herausgeber: Hubertus Gaßner und Andreas Stolzenburg, 2011, S. 437, Abb.-Nr. , Kat.-Nr. 806