Adrian Oudendijck
Rastende Hirten mit Rindern und Schafen
Diese und die folgende Zeichnung waren sicher vom Künstler selbst als Pendants angelegt. Darauf deutet die Tatsache, dass nur eines der Blätter recto signiert wurde. Wenn man Inv.-Nr. 22313 links neben Inv.-Nr. 22314 anordnet, werden die kompositorischen Bezüge besonders deutlich: Im Gesamtbild sind die Hirtinnen einander zugewandt, und der Ausblick auf Gehöfte und Gebirgshintergrund wird seitlich flankiert von Bäumen und Böschungen.
Über das zeichnerische Werk des Adriaen Oudendijck, der 1670 in die Haarlemer Malergilde aufgenommen wurde,(Anm.1) ist bislang wenig bekannt. Harzen wies zu Recht auf stilistische Parallelen zu Arbeiten des ebenfalls in Haarlem tätigen Berchem-Schülers Jan van der Meer (II). An dessen Zeichnungen wie z. B. Inv.-Nr. 22142 und 22143 erinnern der gleichmäßig feine Baumschlag und die sorgfältige Ausführung.
Diese Eigenschaften verbinden mit einer 1699 datierten Zeichnung Oudendijcks, womit ein Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung gegeben ist.(Anm.2) Derartig bildmäßige Arbeiten sind als direkte Reaktion auf die um 1680–1700 steigende Nachfrage nach autonomen Zeichnungen zu verstehen, für die sich unter den niederländischen Sammlern ein eigener Markt entwickelt hatte.
Wie schon Houbraken berichtete, schöpfte Oudendijck aus verschiedenen Inspirationsquellen, was ihm den Beinamen „Rapianus“ („Sammler“) einbrachte.(Anm.3) Dass er sich für die Staffage an Adriaen van de Velde orientierte, wird in besonderer Weise an den vorliegenden Blättern deutlich, deren Figuren und Tiere an Van de Veldes Münchner „Hirten mit Rinderherde“ oder die in Philadelphia verwahrte „Landschaft mit Herde“ erinnern.(Anm.4) Auch den Hamburger Van de Velde-Zeichnungen Inv.-Nr. 22614 und 22613 stehen die beiden Zeichnungen nahe.(Anm.5) Mit Inv.-Nr. 22614 verbindet darüber hinaus ein in gleicher Weise vorgenommener korrigierender Eingriff: Auf Inv.-Nr. 22313 wurde eine links hinter dem Hirtenknaben stehende Frau vom Künstler selbst mit einem scharfen Messer ausgekratzt und anschließend überzeichnet.
Annemarie Stefes
1 Vgl. Irene van Thiel-Stroman: Adriaen Evertsz. Oudendijck, in: Painting in Haarlem 1500-1850. The collection of the Frans Hals Museum, Gent und Haarlem 2006, S. 262-263. In der Datenbank RKD artists wird Oudendijcks Geburtsdatum, ausgehend von seiner katholischen Taufe, irrtümlich in das Jahr 1677 angesetzt.
2 „Schafe und Ziegen“, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1897-A-3201.
3 Arnold Houbraken: De groote Schouburg der Nederlantsche konstschilders en schilderessen … zijnde een vervolg op het schilderboek van K. van Mander, 3 Bde., ’s Gravenhage 1718-1721Arnold Houbraken: De groote Schouburg der Nederlantsche konstschilders en schilderessen … zijnde een vervolg op het schilderboek van K. van Mander, 3 Bde., ’s Gravenhage 1718-1721, Bd. 3, S. 53
4 München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. 569; Philadelphia, Samm-lung John G. Johnson, vgl. Marietta Frensemeier: Studien zu Adriaen van de Velde (1636-1672), Bonn, Univ., Diss. 2001, Nr. 70 und 98. Vgl. auch „Zwei Herden in einer Furt“, Standort unbekannt, ebd. Nr. 73.
5 Vgl. Van de Veldes „Italianisierende Landschaft“ in New York, The Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. I, 150, Angelique van den Van den Eerenbeemd: De italianiserende tekeningen van Adriaen van de Velde, in: Delineavit et Sculpsit 30, 2006, S. 1-64, Nr. 38.