Adriaen van Ostade

Die Garnweiferin (I), um 1668

Diese und die folgende Darstellung einer Garn wickelnden Frau repräsentieren verschiedene Vorstufen zu Van Ostades um 1668 angesetzter Radierung B. 25. Als stilistischer Orientierungspunkt dient außerdem die 1671 datierte Radierung B. 27.(Anm.1)
Adriaen van Ostade ist für die gründliche Erarbeitung seiner Kompositionen bekannt – gleichwohl ist die hier vorliegende stufenweise Annäherung an die finale Komposition ohne Beispiel in seinem Œuvre. Der flüchtige Erstentwurf von Inv.-Nr. 22262 wurde mit dem Griffel wohl mithilfe eines dazwischengelegten geschwärzten Papiers auf die formatgleiche Inv.-Nr. 22263 übertragen. An einigen Stellen erkennt man noch die sich schwach abzeichnenden Spuren dieses Prozesses, z. B. den ursprünglich größeren und tiefer angesetzten linken Fuß des Mannes. Nach dieser Übertragungsprozedur wurde die Ausgangskomposition um zwei schmale seitlich angestückte Papierstreifen erweitert. Der dabei skizzierte Plankenzaun hinten links vor einer Reihe von Baumstämmen findet sich an gleicher Stelle auf der detaillierten Vorzeichnung Inv.-Nr. 22263. Diese disziplinierter gearbeitete Zweitfassung wurde ihrerseits mit dem Griffel überarbeitet zur Übertragung auf die Kupferplatte. Die wesentlichen Motive sind nun geklärt und begegnen im Gegensinn auf der Radierung. Einzig der obere und der rechte Rand der Zeichnung wurden für den Druck stärker eingezogen, so dass die zweite Fensterreihe und der am Boden liegende Korb seitlich beschnitten wurden. Das kleinere Format der Radierung erklärt sich aus der Anpassung an die 96 x 79 mm große Druckplatte.(Anm.2)
Die Beliebtheit dieser Komposition führte zu zwei aquarellierten Varianten, deren eine größtenteils mit Inv.-Nr. 22263 übereinstimmt, also vermutlich direkt von der Zeichnung abzuleiten ist, die offensichtlich mehrfach mit dem Griffel übergangen wurde.(Anm.3) Bei der zweiten Fassung, einem Aquarell aus dem Jahre 1684, handelt es sich um das letzte datierte Werk des Künstlers.(Anm.4) Diese Arbeit ist aufgrund stärkerer Abweichungen wohl nicht direkt auf die detaillierte Hamburger Zeichnung zurückzuführen. „Neue“ Motive wie das stehende Kleinkind, das von der zur Mutter umformulierten Frau gefüttert wird, könnte jedoch von einer auf Inv.-Nr. 22263 flüchtig mit Graphit angelegten, undeutlich zu erkennenden Figur abgeleitet sein.(Anm.5)
Harzen führte beide Zeichnungen zurück auf die Sammlung Mariettes. Jedoch fehlt dessen charakteristische Marke, und auf seiner Nachlassauktion sind beide Blätter nicht aufgeführt – wenn man nicht davon ausgehen will, dass sie entweder vorher oder gemeinsam mit den zugehörigen Stichen verkauft wurden.(Anm.6)

Annemarie Stefes

1 Slatkes, in: Peter van der Coelen: Everyday Life in Holland's Golden Age - the complete etchings of Adriaen van Ostade, Ausst.-Kat. Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis, Amsterdam 1998; vgl. Bernhard Schnackenburg: Adriaen van Ostade, Isack van Ostade. Zeichnungen und Aquarelle. Gesamtdarstellung mit Werkkatalogen, 2 Bde, Hamburg 1981, Bd. 1, S. 46. B. 25 ist im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle neben den Zeichnungen montiert, ohne Inv.-Nr.
2 Vgl. Tom Rassieur: Adriaen van Ostade, the Methodical Artist: Preparatory Drawings, a Chronology, and Rembrandt, in: Ausst.-Kat. Amsterdam 1998, S. 31-53, S. 41.
3 Ebd. S. 125; Chantilly, Musée Condé, Inv.-Nr. 348 (107 x 87 mm), Bernhard Schnackenburg: Adriaen van Ostade, Isack van Ostade. Zeichnungen und Aquarelle. Gesamtdarstellung mit Werkkatalogen, 2 Bde, Hamburg 1981, Nr. 213.
4 Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 5751 (107 x 87 mm), Bernhard Schnackenburg: Adriaen van Ostade, Isack van Ostade. Zeichnungen und Aquarelle. Gesamtdarstellung mit Werkkatalogen, 2 Bde, Hamburg 1981, Nr. 214.
5 Vorgeschlagen von Rassieur 1998, S. 39; die verschlungenen Graphitkonturen sind jedoch nur mit viel Phantasie auf die Kinderfigur zu beziehen.
6 Vgl. ebd. S. 292, Nr. 568: „Plus, 100 petites & moyennes pieces d’après Ostade, plus de 50 sont gravées à l’eau forte par lui-même & plusieurs avec des differences … les autres sont gravées par C. & J. Visscher, Suyderhoef, & c.“. 22263

Details zu diesem Werk

Graphit, Feder in Braun, graubraun laviert auf gelblichem Papier; Griffelspuren; Einfassungslinien mit Pinsel in Braun 100mm x 77mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22262 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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