Jan Gossaert, (?)

Darstellung im Tempel, 1520 - 1530

Zwei Kopien nach der Hamburger Zeichnung und ihrem verlorenen Gegenstück, einer „Beweinung Christi“, befinden sich in London und dokumentieren Zweck und Originalbefund: Die „Darstellung im Tempel“ diente vermutlich als Entwurf oder Präsentationszeichnung für die Innenseite des linken Außenflügels eines Triptychons.(Anm.1) Der obere Abschluss unseres Blattes wurde nachträglich zum Halbrund beschnitten.
Hinsichtlich der Autorschaft gehen die Meinungen auseinander. Van Gelders Zuschreibung an Gossaert wurde übernommen von Reznicek (E. K. J. Reznicek: Mostra di disegni fiamminghi e olandesi, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto disegni e stampe degli Uffizi, Florenz 1964), jedoch angezweifelt von den Autoren des Ausstellungskataloges Rotterdam 1965 und gänzlich abgelehnt von Folie (Jacqueline Folie: Les dessins de Jean Gossaert dit Mabuse, in: Gazette des Beaux-Arts 38, 1951, S. 77-98) und Herzog (Sadja Jacob Herzog: Jan Gossaert, called Mabuse (ca. 1478-1532). A study of his chronology with a catalogue of his works, Ann Arbor, Univ., Diss. 1968). Diese setzten die Zeichnung in den Umkreis Bernard van Orleys (1491/92–1542) und folgten damit Pauli und Popham. Als Kopien nach Van Orley gelten auch die beiden Londoner Kopien. Bruyn und Haverkamp Begemann wiederum zogen die Autorschaft Dirck Vellerts in Betracht. In der zuletzt aktuellen Publikation über Jan Gossaert wird dieser als Urheber des vorliegenden Blattes indes wieder rehabilitiert: Stijn Alsteens akzeptierte Gossaerts Hand und stellte es dem kompositorisch verwandten Berliner „Altarentwurf mit Szenen aus dem Leben des Hl. Leonard“ zur Seite.(Anm.2)
Auffällig an der Hamburger Zeichnung sind die eng gefalteten, unruhig bewegten Stoffe, wie man sie ähnlich auf einer „Bekehrung Pauli“ in Berlin beobachten kann.(Anm.3) Auch die Gestaltung des Hintergrundes ist jener Zeichnung verwandt. Jedenfalls sind die Bezüge zu Gossaert deutlich enger als zu Zeichnungen Van Orleys und Vellerts.(Anm.4) Dies gilt auch im Verhältnis zu Gemälden des sogenannten „Meisters der Anbetung von Lille“, mit dem unser Blatt von Peter van den Brink in Verbidnung gebracht wurde.(Anm.5)
Auch die von unterschiedlicher Seite beobachteten Dürer-Zitate können eine Zuschreibung an Gossaert indirekt stützen, wenn man sie als Ergebnis von Dürers Besuch bei Gossaert im Rahmen seiner niederländischen Reise interpretieren möchte.(Anm.6)
Wie Inv.-Nr. 21670, 22735, 23030, 22547 und 23029 wurde dieses Blatt von einem wohl holländischen Händler des frühen 18. Jahrhunderts rückseitig mit Zuschreibung und Preis versehen („Aldegraaf – 6“). Eine in gleicher Weise bezeichnete Zeichnung des Dirck Vellert befindet sich in Frankfurt am Main.(Anm.7)

Annemarie Stefes

1 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. SL,5268.196.
2 Alsteens, in: Maryan Wynn Ainsworth (Hrsg.): Man Myth, and Sensual Pleasures, Jan Gossaert’s Renaissance. The Complete Works, New York und Brüssel 2010, S. 29–31; zuvor, auf dem Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle und in einer E-Mail vom 30. 10. 2009 wurde das Hamburger Blatt von Alsteens als „gute Zeichnung des Künstlers“ vorgestellt; Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 4647, Henri Pauwels, H. R. Hoetink, S. Herzog: Jan Gossaert genaamd Mabuse, Ausst.-Kat. Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen, Brügge, Groeningemuseum, Amsterdam 1965, Nr. 69, vgl. ebd. S. 337.
3 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 8484, Elfried Bock, Jakob Rosenberg: Die niederländischen Meister. Beschreibendes Verzeichnis sämtlicher Zeichnungen, Staatliche Museen zu Berlin. Die Zeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinett, 2 Bde., Berlin 1930, S. 35. Die von Van Gelder und Reznicek als Anhaltspunkt für die Zuschreibung erwähnten „Glasentwürfe mit Szenen aus dem Leben des Evangelisten Johannes“, Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 1335 E bis Inv.-Nr. 1338 E wurden kürzlich ebenfalls als Werke Gossaerts publiziert, Ausst.-Kat. Florenz/Paris 2008, Nr. 12.
4 Van Orleys Figuren sind plumper proportioniert; ihre Gliedmaßen durch gerundete Pinselstriche puppenartig voneinander abgesetzt, vgl. „Triumph der heldenhaften Frau“, Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 15468, Otto Benesch: Die Zeichnungen der Niederländischen Schulen des XV. und XVI. Jahrhunderts, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. 2, Wien 1928, Nr. 43; Zeichnungen der Romulus-und-Remus-Folge, 1524, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 978, Inv.-Nr. 979, Inv.-Nr. 981, Holm Bevers: Niederländische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Ausst.-Kat. München, Staatliche Graphische Sammlung, München 1989, Nr. 50–53. Vellerts gesicherte Zeichnungen wirken hingegen glatter und klarer, vgl. Kat.-Nr. 1080 oder London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1923,0113.2 und Inv.-Nr. 1923,0113.3.
5 Brief vom 23. 6. 2004 mit Verweis auf dessen „Anbetung der Könige“ in Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. 1959, Max Jacob Friedländer: Jan van Scorel and Pieter Coeck van Aelst, hrsg. Von Henri Pauwels und G. Lemmens, Early Netherlandish Painting, Bd. 12, Leiden 1975, Nr. 139 (als Dirck Vellert), für verwandte Figurentypen und -proportionen, Draperien und Rahmenarchitektur. Auch Details wie die schlanken, bisweilen klauenartig gekrümmten Hände und die vom schmalen Nasenrücken abgesetzten Nasenflügel einzelner Figuren – auf unserer Zeichnung sind dies Hanna und Simeon, auf dem Gemälde Maria und Joseph – sind grundsätzlich verwandt. Insgesamt wirken Figuren und Architektur auf unserer Zeichnung jedoch weniger manieriert als auf den Gemälden dieses Meisters, vgl. auch die namengebende „Anbetung der Hirten“ in Lille, Palais des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 577, Max Jacob Friedländer: Jan van Scorel and Pieter Coeck van Aelst, hrsg. Von Henri Pauwels und G. Lemmens, Early Netherlandish Painting, Bd. 12, Leiden 1975, Nr. 140 (als Dirk Vellert).
6 Motiventlehnungen aus B. 62, 77, 78 und 89, vgl. Gustav Pauli: Zeichnungen alter Meister in der Kunsthalle zu Hamburg. Niederländer, hrsg. von Hamburger Kunsthalle, Veröffentlichungen der Prestel-Gesellschaft, Bd. 12, Frankfurt am Main 1926 und Cecilia Engellau-Gullander: Jan II van Coninxlo. A Brussels Master of the First Half of the 16th Century, Stockholm 1992, S. 50–51, die den runden Tisch und die Einbeziehung der Prophetin Hannah als neue Stilmerkmale auf italienischen Einfluss zurückführt. Zu Dürers Besuch bei Gossaert vgl. Karel van Mander: Das Leben der niederländischen und deutschen Maler (von 1400 bis ca. 1615), übersetzt und hrsg. von Hanns Floerke, München 1905, S. 122.
7 Stijn Alsteens auf dem Hamburger Symposium, siehe Anm. 3; Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. N 721.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, braun laviert, auf braunem Papier; Einfassungslinien (Feder in Braun) 399mm x 164mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22252 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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