Lucas Hugensz. van Leyden, Zeichner

Der Sündenfall, um 1528

Lucas van Leyden hinterließ Holzschnitte und Kupferstiche in großer Zahl, jedoch nur wenige Zeichnungen. Der Sündenfall ist eines dieser seltenen Blätter. Unter dem Einfluss Dürers beschäftigte sich der Künstler sein Leben lang mit dem biblischen Thema, das eine willkommene Gelegenheit bot zur Darstellung des nackten menschlichen Kör- pers. Die Zeichnung entstand in der späten Schaffensphase, um 1528. Die von Dürer- Graphik abgeleiteten Figuren wirken reifer als ihre druckgraphischen Vorgänger. Die offenen sexuellen Anspielungen deuten auf den privaten Charakter der Zeichnung, die sich, anders als Holzschnitt und Kupferstich, an einen kleinen Betrachterkreis richtet.
Andreas Stolzenburg
Das Blatt ist eine der wenigen gesicherten Zeichnungen Lucas van Leydens, stilistisch anzuschließen an den um 1528 datierten Gemäldeentwurf „Madonna und Kind“ in London und eine ähnlich fest gezeichnete „Auferstehung Christi“ in Amsterdam.(Anm.1)
Neben der Hamburger Zeichnung finden sich im Œuvre des Künstlers sieben weitere Darstellungen des Sündenfalls (1. Mose, Kapitel 3): Die Kupferstiche B. 7–10 und die Holzschnitte B 1–2. Im Blattaufbau und der Körperhaltung Adams kommt das Hamburger Blatt dem 1529 datierten Kupferstich B. 9 nahe, wobei die gebeugte Schulterpartie mit dem ausgestreckten rechten Arm vielleicht auf Dürers Kupferstich „Apoll und Diana“ (B. 68, 1502) zurückzuführen ist.(Anm.2) Für den Typus und die Gestik der Eva ließ sich Lucas van Leyden anregen von Dürers gestochenem „Sündenfall“ von 1504 (B. 1).
Anders als auf den für einen größeren Adressatenkreis gerichteten Kupferstichen sind die Geschlechtsteile der Figuren hier nicht bedeckt. Als sexuelle Anspielung wurde auch der Griff Adams nach einem aufgerichteten Zweig interpretiert, möglicherweise zu erklären durch den vergleichsweise privaten Charakter der Zeichnung.(Anm.3) Ob es sich bei unserem Blatt um ein eigenständiges Kunstwerk handelt – im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts wäre das eine Seltenheit (Anm.4) – oder um eine zweckbestimmte Arbeit, bleibt ungeklärt. Kloek hielt die Zeichnung aufgrund des Übertragungsrasters für einen Gemäldeentwurf, Filedt Kok wies jedoch darauf hin, dass die Quadrierungslinien für eine Übertragungshilfe zu grob gehalten sind und vermutlich eher als Hilfslinien für die achsiale Ausrichtung der Figuren dienten.(Anm.5)
Diese Zeichnung, auf deren Eigenhändigkeit bereits die alte Beischrift verweist, wurde vermutlich noch zu Lebzeiten des jüngeren Johan Goll van Franckenstein verkauft – auf der Nachlassauktion der Sammlung ist sie nicht mehr nachzuweisen.

1 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1892,0804.15, Wouter Th. Kloek: The Drawings of Lucas van Leyden, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaerboek 29, 1978, S. 425-458 Nr. 25; Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1982-75, vgl. Kunst voor de Beeldenstorm. Noordnederlandse kunst 1525-1580, hrsg. von Jan Piet Filedt Kok, W. Halsema-Kubes, Wouter Th. Kloek, 2 Bde., Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 's-Gravenhage 1986, Bd. 2, Nr. 32. Der ins Profil gewandte Kopf der Eva mit den seitlich nach vorne wehenden Haaren begegnet zudem auf seinem Stich „Venus und Amor“ von 1528 (B. 138), wodurch die zeitliche Einordnung um 1528 zusätzlich gestützt wird.
2 Filedt Kok, in:Kunst voor de Beeldenstorm. Noordnederlandse kunst 1525-1580, hrsg. von Jan Piet Filedt Kok, W. Halsema-Kubes, Wouter Th. Kloek, 2 Bde., Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 's-Gravenhage 1986.
3 Vgl. Elise Lawton Smith: Women and the Moral Argument of Lucas van Leyden's Dance around the Golden Calf, in: Art History 15, 1992, Nr. 3, S. 296-316, S. 304; Elise Lawton Smith: The Paintings of Lucas van Leyden, Columbia (Missouri) 1992, S. 62; vgl. Filedt Kok, in: Kunst voor de Beeldenstorm. Noordnederlandse kunst 1525-1580, hrsg. von Jan Piet Filedt Kok, W. Halsema-Kubes, Wouter Th. Kloek, 2 Bde., Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 's-Gravenhage 1986.
4 Vgl. Wouter Th. Kloek: The Drawings of Lucas van Leyden, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaerboek 29, 1978, S. 425-458, S. 433 u. 435.
5 Wouter Th. Kloek: The Drawings of Lucas van Leyden, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaerboek 29, 1978, S. 425-458, S. 430; Filedt Kok, in: Kunst voor de Beeldenstorm. Noordnederlandse kunst 1525-1580, hrsg. von Jan Piet Filedt Kok, W. Halsema-Kubes, Wouter Th. Kloek, 2 Bde., Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 's-Gravenhage 1986.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide auf gelblichem Papier; quadriert mit schwarzer Kreide; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 282mm x 195mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 22108 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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