Cornelis Cornelisz. van Haarlem, zugeschrieben
Hendrick Goltzius, ehemals zugeschrieben

Gebirgslandschaft mit Brücke und Stadt, um 1635?

Die alte Zuschreibung der Gebirgslandschaft an Hendrik Goltzius wurde von Reznicek übernommen mit Verweis auf eine in gleicher Technik gearbeitete Landschaft aus den späten 1590er Jahren in Stockholm.(Anm.1) Unser Blatt wirkt jedoch in Schraffur und Linienführung bisweilen unsicher und lässt die Klarheit der Stockholmer Zeichnung vermissen; in der Wiedergabe der Felspartie unterscheiden sich die sperrigen Schraffurlagen von Goltzius’ geschmeidigen Strukturen. Weitere Schwächen manifestieren sich in den zaghaften, wenig ausdrucksvollen Konturen, dem zu groß proportionierten Ruderboot und der wulstigen Rauchsäule.(Anm.2) Eine annähernd gleich große Landschaftszeichnung aus ehemaligem Besitz der Hamburger Kunsthalle, 1927 im Tausch an Frits Lugt veräußert, wirkt systematischer in Struktur und Modellierung.(Anm.3)
Diese Abweichungen stellen die alte Zuschreibung in Frage und lassen eher an eine Entstehung im Umkreis des Goltzius denken. Marijn Schapelhouman sah eine gewisse Verbindung zu Jacob Mathams „Gebirgslandschaft“ in Amsterdam, die jedoch deutlich sauberer und präziser gearbeitet ist, bei ebenfalls geschmeidigerer Schraffur.(Anm.4)
Auf der Rückseite der vorliegenden Landschaftszeichnung ist die „Befreiung Petri aus dem Kerker“ dargestellt (Apostelgeschichte 12, 5–7). Diese Zeichnung wurde bereits von Reznicek aus dem Œuvre des Goltzius ausgeschlossen. In der Tat unterscheiden sich vor allem die geschlossen konturierten und rundlich abschattierten Gliedmaßen von entsprechenden Partien vergleichbarer Goltzius-Zeichnungen.(Anm.5) Gerade in diesen Eigenschaften kommt die Verso-Zeichnung einer Cornelis van Haarlem zugeschriebenen „Marktszene“ in Köln so nahe,(Anm.6) dass dessen Autorschaft ernsthaft in Betracht gezogen werden sollte. Analog zu der Datierung der Kölner Zeichnung um 1636/37 wäre die „Befreiung Petri“ ebenfalls als Spätwerk zu bewerten.(Anm.7) Ein korrespondierendes Gemälde ist bislang allerdings nicht bekannt.
Für die sich daraus eröffnende Möglichkeit, dass es sich auch bei der recto gezeichneten Landschaft um ein Werk des Cornelis handeln könnte, fehlt es an gezeichneten Landschaften zum direkten Vergleich. Die massiven Gebirgskomplexe der Hintergrundlandschaft auf Cornelis’ 1605 datierter „Reinigung der Israeliten am Sinai“ oder seiner „Bekehrung Pauli“ in Prag sind jedoch in den kompositorischen Grundzügen verwandt,(Anm.8) und das Bemühen um plastische Modellierung der Geländeformen mithilfe von Federschraffur und Weißhöhung findet sein malerisches Äquivalent in den weich abschattierten Bergkuppen dieser Gemälde.
Wenn es sich bei der Landschaft tatsächlich um eine Arbeit des Cornelis van Haarlem handeln sollte, dann wäre sie sicherlich auf Anregung oder Vorlage entsprechender Goltzius-Zeichnungen zurückzuführen. Dass Cornelis derartige Arbeiten seines Freundes besaß, geht zumindest aus dem Nachlassinventar seiner Sammlung hervor.(Anm.9)

Annemarie Stefes

1 Stockholm, Nationalmuseum, Inv.-Nr. 1866/1863, E. K. J. Reznicek: Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius. Mit einem beschreibenden Katalog. Text, 2 Bde., Utrecht 1961, Nr. 406.
2 Z. B. „Gebirgspanorama“, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 901, E. K. J. Reznicek: Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius. Mit einem beschreibenden Katalog. Text, 2 Bde., Utrecht 1961, Nr. 395, oder „Phantastische Landschaft mit Merkur“, Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie, Inv.-Nr. D 274, ebd. Nr. 393, vgl. S. 109–110.
3 Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 3083, E. K. J. Reznicek: Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius. Mit einem beschreibenden Katalog. Text, 2 Bde., Utrecht 1961, Nr. 401.
4 Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22.2.2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1939-13, Schapelhouman 1987, Nr. 58.
5 Vgl. die „Frauenakte“ in den Staatlichen Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 320, E. K. J. Reznicek: Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius. Mit einem beschreibenden Katalog. Text, 2 Bde., Utrecht 1961, Nr. 45v, vgl. Holm Bevers: Unpublished Drawings by Hendrick Goltzius in Berlin, in: Master Drawings 35, 1997, Nr. 4, S. 392-396, Nr. 5, um 1607; vgl. auch die Verso-Zeichnungen „Madonna mit Kind“, 1591, Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. K III 20, E. K. J. Reznicek: Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius. Mit einem beschreibenden Katalog. Text, 2 Bde., Utrecht 1961, Nr. 235v; „Skizze einer männlichen Aktfigur“, um 1596, Düsseldorf, museum kunst palast, Sammlung der Kunstakademie (NRW), Inv.-Nr. FP 5149, ebd Nr. 137v; „Amor und Venus (?)“, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. DN 202/99, Corpus Gernsheim 35924.
6 Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Z 1341, Pieter J. J. van Thiel: Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562-1638. A Monograph and Catalogue Raisonné, Doornspijk 1999, Nr. D 8, Abb. 364, vergleichbar auch in der flüchtig skizzierten Hintergrundarchitektur.
7 Die Figurentypen erinnern an ein ebenfalls um 1636 datiertes „Abendmahl“, Standort unbekannt, Pieter J. J. van Thiel: Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562-1638. A Monograph and Catalogue Raisonné, Doornspijk 1999, Nr. 75.
8 Belgischer Privatbesitz, Pieter J. J. van Thiel: Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562-1638. A Monograph and Catalogue Raisonné, Doornspijk 1999, Nr. 18; Prag, Národní Gallery, Inv.-Nr. O 8704, Pieter J. J. van Thiel: Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562-1638. A Monograph and Catalogue Raisonné, Doornspijk 1999, Nr. 85, um 1602/03.
9 Im „Register ofte Lijste van de naergelaten Kunst van Mr Cornelis van Haerlem“, 1639, Abraham Bredius: Künstler-Inventare. Urkunden zur Geschichte der holländischen Kunst des XVIten, XVIIten und XVIIIten Jahrhunderts, Den Haag 1915-22 1921, S. 77–86, Nr. 129: „… een lantspap [sic] van H. goltius“.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, Pinsel in Deckweiß auf grauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 197mm x 310mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21979 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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