Lambert Doomer

Salzgewinnung in Le Croisic bei Nantes, 1645 oder 1646

Im Alter von 21 Jahren unternahm Lambert Doomer eine ausgedehnte Reise durch Frankreich. Anlass und Ausgangspunkt war ihm ein mehrmonatiger Besuch bei seinen Brüdern in Nantes, die sich dort als Kaufleute niedergelassen hatten.(Anm.1) Doomer wird dort vor seinem Reisegefährten Willem Schellinks bereits im Jahre 1645 eingetroffen sein, wie den – allerdings nachträglich eingetragenen – Jahreszahlen auf Inv.-Nr. 21850 und 21849 zu entnehmen ist.(Anm.2) Bei Schulz (1972) sind insgesamt über 140 Zeichnungen mit französischen Motiven aufgeführt, darunter 40 verschollene Werke.(Anm.3) Bei dem Großteil dieser Werke handelt es sich um spätere Repliken. Nur ca. 25–30 Arbeiten dürften direkt vor Ort aufgenommen worden sein, und dieser kleinen Gruppe sind auch Inv.-Nr. 21850, 21849 und 21851 zugehörig. Sie gehören zu den frühesten datierten Zeichnungen des Künstlers.(Anm.4) Inv.-Nr. 21850 und 21849 zeigen Motive aus der Umgebung von Nantes: die Straße nach Rennes (Inv.-Nr. 21849) bzw. das Mündungsgebiet der Loire (Inv.-Nr. 21850), wie aus der rückseitigen Bezeichnung „in de Krosweyck“ (Le Croisic) hervorgeht, einem bis heute für die Salzgewinnung genutzten Gebiet.(Anm.5) Doomer markierte die einzelnen Salzpfannen mit Nummern, die sich am ehesten auf die unterschiedlichen Arbeitsschritte der Salzgewinnung beziehen könnten.(Anm.6) Inv.-Nr. 21851 ist aus nördlicher Blickrichtung vom rechten Loire-Ufer aus bei Tours aufgenommen und sicher in das Jahr 1646 zu datieren.(Anm.7) Im Hintergrund erkennt man die Türme der Kathedrale St. Gatien.(Anm.8) Dieses Blatt ist Doomers einzige bekannte Vor-Ort-Aufnahme der Stadt.
Während Inv..-Nr. 21849 sorgfältig ausgeführt wurde, sind Inv.-Nr. 21850 und 21849 auf eine für Reiseskizzen charakteristische Art und Weise grob und flüchtig gearbeitet. Auf der unvollendeten Inv.-Nr. 21850 gut zu erkennen ist die Erstanlage in schwarzer Kreide mit den charakteristisch kräftig schwingenden Linienzügen. Zu dieser ersten Vor-Ort-Aufnahme gehörte sicherlich der Arbeiter, dessen Konturen sich noch schwach in der Blattmitte abzeichnen. In einem zweiten Schritt wurde er etwas weiter nach rechts versetzt, offensichtlich um Platz zu schaffen für die Repoussoirfigur des sitzenden Zeichners. Dass dieser nach Aufnahme des Geländes hinzugefügt wurde, ist an der Konturenüberschneidung zu erkennen.(Anm.9) Vermutlich erfolgte auch die kontrastreiche Lavierung mit brauner und grauer Tusche zu einem späteren Zeitpunkt – ob allerdings nachträglich im Atelier oder unmittelbar nach der Erstaufnahme – zur Festigung und Klärung der veränderten Komposition – ist kaum mehr zu bestimmen.(Anm.10) Sicher zu einem späteren Zeitpunkt wurde Inv.-Nr. 21849 mit brauner Feder übergangen.
Die auf Inv.-Nr. 21850 unten rechts mit Feder eingetragene Nummer „19“ weist vielleicht auf einen seriellen Kontext mit anderen Blättern, wie von Alsteens/Buijs 2008 vorgeschlagen,(Anm.11) könnte aber auch ein von Doomer selbst vorgenommenes Arrangement der Zeichnungen gemäß ihrer topographischen Zuordnung dokumentieren.
Wohl in den frühen 1670er Jahren schuf Doomer aquarelllierte Repliken der Reisezeichnungen, möglicherweise als Reaktion auf das wachsende Sammlerinteresse an derartigen Darstellungen. Auch zu den Hamburger Blättern existieren Zweitfassungen mit teilweise abgewandelter Staffage.(Anm.12)

Annemarie Stefes

1 Wolfgang Schulz: Lambert Doomer, Leben und Werke, 2 Bde., Berlin, Univ., Diss. 1972, S. 37; Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 29; vgl. auch Véronique Mathot: Les Hollandais du pays nantais, in: Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 56-65, S. 58.
2 Wolfgang Schulz: Lambert Doomer, Leben und Werke, 2 Bde., Berlin, Univ., Diss. 1972, S. 38 und 40 glaubte an eine Ankunft erst im Jahre 1646 und zweifelte folglich an der Verläßlichkeit der Datierung; dagegen argumentierte Peter Schatborn: Wolfgang Schulz, Lambert Doomer: Sämtliche Zeichnungen, Simiolus 9, 1977, S. 48-55, S. 50 und 52, dass es dem Künstler offensichtlich nicht möglich war, die 1645 bzw. 1646 in Nantes gezeichneten Ansichten voneinander zu trennen; auch Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 30 bzw. S. 109 setzten Lamberts Ankunft für 1645 voraus und akzeptierten Doomers Datierung in dieses Jahr.
3 Wolfgang Schulz: Lambert Doomer, Leben und Werke, 2 Bde., Berlin, Univ., Diss. 1972, S. 39–40, vgl. Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 31.
4 Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 30; zu dem Unterschied zwischen Vor-Ort-Aufnahmen und Repliken vgl. ebd. S. 32.
5 Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 109 wiesen darauf hin, dass es sich bei dem im Hintergrund von Inv.-Nr. 21850 dargestellten Dorf auch um Batz oder Pouliguen handeln könnte. – Die genauere Lokalisierung der lediglich „buijte Nantes“ bezeichneten Inv.-Nr. 21849 geht zurück auf die Beischrift der Zweitfassung „Bij Nantes op de Wegh na Rennes“, siehe Anm. 12, vgl. Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 121.
6 Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 109. Schaar, in: Eckhard Schaar: Rembrandt und sein Jahrhundert, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1994 sah hierin sicher zu Unrecht einen mutmaßlichen Hinweis auf geplante stecherische Umsetzung. Eher ist anzunehmen, dass Doomer die Zahlen erläutern wollte, ähnlich wie auf einer Zeichnung in Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Atlas Van der Hem, Nr. 6:85; vgl. Wolfgang Schulz: Lambert Doomer. Sämtliche Zeichnungen, hrsg. von Matthias Winner, Disegno. Studien zur Geschichte der Europäischen Handzeichnungen, 2 Bde., Berlin 1974, Nr. 72 und Stijn Alsteens (Rezession): Erlend de Groot and Peter van der Krogt, The Atlas Blaeu-van der Hem of the Austrian National Library, in: Master Drawings 48, S. 105-120, S. 111 bei Nr. 6:85.
7 Genauen Aufschluss hierüber gibt das Tagebuch des Willem Schellinks, der am 17. Mai 1646 bei Doomer in Nantes eintraf und den weiteren Verlauf der gemeinsamen Reise festhielt. Der Aufenthalt in Tours ist für die Zeit zwischen dem 24. und 29. Juli des Jahres dokumentiert, vgl. Wolfgang Schulz: Lambert Doomer, Leben und Werke, 2 Bde., Berlin, Univ., Diss. 1972, S. 39.
8 Vgl. Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 155.
9 Derartige Eingriffe sind charakteristisch für die „Abrundung“ einer vor Ort aufgenommenen Skizze; darüber hinaus wurde der „Zeichner im Bilde“ häufig als „Authentizitätsnachweis“ einer Vor-Ort-Aufnahme eingesetzt, vgl. Hein-Th. Schulze-Altcappenberg, Michael Thimann (Hrsg.): Disegno. Der Zeichner im Bild der Frühen Neuzeit, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Ausst.-Kat. Berlin 2007 und Stefaan Hautekeete: Tekeningen van Rembrandt en zijn leerlingen in de Verzameling van Jean de Grez, Ausst.-Kat. Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts, Gent 2005, S. 46 mit Bezug auf eine Zeichnung in Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts, Sammlung De Grez, Inv.-Nr. 4060/1100, ebd. Nr. 12.
10 Die Vermutung von Wolfgang Schulz: Lambert Doomer, Leben und Werke, 2 Bde., Berlin, Univ., Diss. 1972, S. 40, dass mindestens ein Teil der Zeichnungen nachträglich überarbeitet wurde, befürworteten auch Röver-Kann, in: Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 42 und Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 31. 2001 revidierte Schulz seine Meinung und sah gerade in Inv.-Nr. 21850 eine auf der Reise selbst lavierte Zeichnung, Mitteilung per Brief an Anne Röver-Kann, 18. 4. 2001.
11 Stijn Alsteens, Hans Buijs: Paysages de France dessinés par Lambert Doomer et les artistes hollandais et flamands des XVI.e et XVII.e siècles, Paris 2008, S. 33. Vergleichbare Nummern sind auf den erhaltenen Reiseskizzen vergleichsweise selten, vgl. Wolfgang Schulz: Lambert Doomer, Leben und Werke, 2 Bde., Berlin, Univ., Diss. 1972, S. 60. Beispiele finden sich in Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-A 3697, ebd. Nr. 70 („2“, unten rechts); Ottawa, National Gallery of Canada, Inv.-Nr. 5818, Joaneath Spicer, Odilia Bonebakker, David Franklin: Dutch and Flemish Drawings from the National Gallery of Canada, Ausst.-Kat. Ottawa, National Gallery of Canada, Cambridge (MA), Arthur M. Sackler Museum, Harvard University, Fredericton, Beaverbrook Art Gallery, Ottawa 2004, Nr. 50 („8“, unten rechts); Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 12203, ebd. Nr. 79 („9“, unten rechts) und New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. 65-48, Wolfgang Schulz: Lambert Doomer. Sämtliche Zeichnungen, hrsg. von Matthias Winner, Disegno. Studien zur Geschichte der Europäischen Handzeichnungen, 2 Bde., Berlin 1974, Nr. 50 („10“, unten links).
12 Zu Inv.-Nr. 21850: Sammlung Joseph R. Goldyne, San Francisco, Aukt.-Kat Amsterdam, Mak van Waay, 15. 1. 1974, Nr. 1126d mit Abb.; zu Inv.-Nr. 21849: ehemals Sammlung Klaver, Ger Luijten, Ariane van Suchtelen u.a.: Dawn of the Golden Age, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksmuseum, Zwolle 1993/94, Nr. 80 mit Abb., verso: „Bij Nantes op de Wegh na Rennes“; zu Kat.-Nr. 257: Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 9024.

Details zu diesem Werk

Kohle, Pinsel in Braun und Grau auf hellgrauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 187mm x 404mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21850 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback
Weitere Werke von
Lambert Doomer