Nicolaes Berchem

Flötespielender Hirte, um 1648-49

Diese und die folgende Zeichnung sind Teil einer sechs Blätter umfassenden, ehemals sicher größeren Gruppe von Blaupapierstudien nach demselben Modell.(Anm.1) Die Zuschreibung der Hamburger Blätter an Berchem geht zurück auf Harzen, der sie 1857 als Arbeiten des Johann Heinrich Roos erwarb. Aus stilistischen Gründen ist eine Datierung in die ausgehenden 1640er Jahre wahrscheinlich.(Anm.2) Schatborn, der die Werkgruppe 1974 erstmals zusammenhängend vorstellte, zählte sie zu den gewissermaßen auf Vorrat gezeichneten, „mehrfach verwendbaren Figurenstudien“.(Anm.3) Der flötespielende Hirte (Inv.-Nr. 21708) begegnet seitengleich und kaum abgewandelt auf einer eigenhändigen Radierung (H. 6), und der aus seinem Hut trinkende Hirte (Inv.-Nr. 21709) lässt sich auf einem von Cornelis Visscher reproduzierten Gemälde unbekannten Standorts (H. 75) nachweisen und, in seitenverkehrter Ausrichtung, auf einer heute ebenfalls verschollenen, von Johannes Visscher gestochenen Zeichnung (H. 83).4 Charakteristisch für Berchems Umgang mit dem gezeichneten Motivfundus sind die gezielt vorgenommenen Abwandlungen durch Verzicht auf Details oder Übertragung in den Gegensinn. Dazu wurde ein angefeuchtetes Papier auf die Zeichnung gelegt und durch die Druckerpresse gezogen. Der so entstandene Gegendruck, ein spiegelbildlicher Abklatsch des Originals, stand dann als Ausgangspunkt für kompositorische Weiterentwicklungen zur Verfügung.
In der Literatur wurde die sonnige Wirkung der Hirtenstudien auf Blaupapier oft als Beleg für eine Italienreise gewertet.(Anm.5) Eher hat es jedoch den Anschein, dass Berchem mit diesen Zeichnungen auf Arbeiten des 1642 verstorbenen Pieter van Laer reagiert.(Anm.6)
Eine Kopie nach Inv.-Nr. 21708 befindet sich in Wien,(Anm.7) und von Inv.-Nr. 21709 sind bislang zwei Kopien bekannt.(Anm.8)

Annemarie Stefes

1 Die vier heute erhaltenen Blätter befinden sich in London, Courtauld Institute of Art, Inv.-Nr. D.1952.RW.2908; Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. P 50, Inv.-Nr. P 51 und Inv.-Nr. Q 7, Michiel C. Plomp: Jan Pietersz. Zomer's inscriptions on drawings, in: Delineavit et Sculpsit 17, 1997, S. 13-27, Nr. 28, 29, 27. Zwei heute verlorene Zeichnungen werden dokumentiert durch die Hamburger Kopie Inv.-Nr. 1957-190 und eine Kopie in Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Nr. Tu 59,2.
2 Einen Anhaltspunkt gibt die um oder vor 1648 datierte „Studie eines schlafenden Kindes“ in Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Z 4459, Hella Robels: Niederländische Zeichnungen vom 15. bis 19. Jahrhundert im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, Köln 1983, Nr. 103, die mit ähnlich breitem, schwungvollem Strich gezeichnet ist.
3 „Applicable preliminary studies“, vgl. Peter Schatborn: Figuurstudies van Nicolaes Berchem, in: Bulletin van het Rijksmuseum 22, 1974, Nr. 1, S. 3-16, S. 14 und Schatborn, in: Peter Schatborn: Dutch Figure Drawings from the seventeenth century, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, S. 28.
4 Zu einer freieren Variante kommt es auf einer Zeichnung der 1670er Jahre, Cleveland, Museum of Art, Inv.-Nr. 58.410, Peter Schatborn: Dutch Figure Drawings from the seventeenth century, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981,Inv.-Nr. 58.410, Annemarie Stefes: Nicolaes Berchem (1620-1683). Die Zeichnungen, 3 Bde., Bern, Univ., Diss. 1997, Bd. 3, Nr. IV/10.
5 Z. B. Ausst.-Kat. London 1970, S. 31 oder J. L. L. Tilanus: Het grafisch werk van drie italianisanten - Jan Both, Nicolaes Berchem en Karel Dujardin, Gent 1975, S. 54.
6 Vgl. Van Laers „Studien eines sitzenden Hirten im Wams aus Schaffell“, Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie, Inv.-Nr. D 805, Peter Schatborn: Dutch Figure Drawings from the seventeenth century, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Washington, National Gallery of Art, Den Haag 1981, S. 63, Abb. 3; vgl. Peter Schatborn: Figuurstudies van Nicolaes Berchem, in: Bulletin van het Rijksmuseum 22, 1974, Nr. 1, S. 3-16, S. 9.
7 Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 9835 (Rötel, 105 x 65 mm).
8 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 5931 (252 x 170 mm, auf blauem Papier), Elfried Bock, Jakob Rosenberg: Die niederländischen Meister. Beschreibendes Verzeichnis sämtlicher Zeichnungen, Staatliche Museen zu Berlin. Die Zeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinett, 2 Bde., Berlin 1930, Bd. 1, S. 80; ehemals Kunsthandel De Maere, Brüssel (Rötel, 263 x 168 mm).

Details zu diesem Werk

Schwarze und weiße Kreide auf blaugrauem Papier; Einfassungslinien (Feder in Braun) 280mm x 195mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21708 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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