Anonym, Oberitalien (Venedig ?), 1521 (?)

Stehende Dame in venezianischem (?) Kostüm

Das Blatt wurde seit Harzens Beurteilung als Werk eines anonymen italienischen Zeichners aus dem 16. Jahrhundert eingeschätzt. Seiner Ansicht nach handelte es sich um die Darstellung eines venezianischen Kostüms. Beide Einordnungen sind mit dieser Eindeutigkeit nicht zu halten.(Anm.1) Sicher erscheint lediglich, dass es sich um eine italienische Kleidung handelt. Hierfür spricht eindeutig die Kopfbedeckung, der sogenannte Balzo. Er stammte ursprünglich aus dem frühen 15. Jahrhundert und kam im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erneut in Mode. Diese Tatsache deckt sich mit der auf dem Blatt angegebenen Jahreszahl von 1521. Gegenüber dem Recto weist das Verso ein anderes Kleid auf. Die Darstellung beider Kleider entspricht in etwa einem in Italien im 16. Jahrhundert gängigen Typus.(Anm.2) Darüber hinaus kann die venezianische Herkunft nicht eindeutig verifiziert werden. Generell ist das Wissen über das venezianische Kleid der Renaissance gering. Nur wenige Originale haben sich erhalten und im Gegensatz zu den Kurtisanen der Stadt ließen sich die besser gestellten Damen nur selten porträtieren. Dass es sich bei dem „Hamburger Kleid“ um dasjenige einer wohlhabenderen Dame handelt, dürfte an der reichen Stofffülle, den auffällig angeknüpften Manschetten und dem hoch geschlossenen Hemd unter dem Kleid erkennbar sein. Ein partiell vergleichbares Kleid findet sich auf dem Gemälde „Bildnis einer unbekannten Frau“ von Bernardo Licino, genannt Pordenone, von 1524.(Anm.3) Dies betrifft vor allem die Schnürung im Brustbereich und das Tragen eines Hemdes unter dem Kleid. Unverkennbar weist das „Hamburger Kleid“ gegenüber der Dame auf Pordenones Bild eine weniger freizügige Form auf. Auch fehlen auf dem Gemälde die auffallenden Manschetten. Der strengeren Hamburger Lösung entspricht ein Kleid, das die aus Urbino stammende Dichterin Laura Battiferri trägt.(Anm.4) Dieses von Bronzino gemalte Porträt deutet eher auf eine mittelitalienische Herkunft der Kleidung hin. Eine genaue Lokalisierung erscheint vor diesem Hintergrund schwierig. Noch problematischer ist eine Zuordnung der zeichnerischen Handschrift. Nicht auszuschließen ist, dass die Studie von einem Nicht-Italiener angefertigt worden ist. Veronika Birke wies darauf hin, dass die relativ stämmige, unelegant wirkende Darstellung möglicherweise auf einen nordischen Zeichner schließen lässt.(Anm.5) Erinnert sei daran, dass Albrecht Dürer mit großer Aufmerksamkeit die Mode der Venezianerinnen festgehalten hat.
Unklar ist auch die Funktion des Blattes. Die beidseitige Nutzung könnte auf die Herkunft aus einem Musterbuch hindeuten. Die auf dem Blatt vermerkten Wörter „lasarza rosina“ deuten zwar auf einen Namen hin, doch konnte keine historische Persönlichkeit bislang damit verbunden werden.

David Klemm

1 Andrea Joosten, Hamburg, und Ingrid Loschek, München, ist für zahlreiche Hinweise zu danken.
2 Vgl. z. B. das Recueil de Vecellio in Eugène Muentz: Histoire de l’Art pendant la Renaissance, Paris 1895, S. 249.
3 Vgl. Leandro Ozzòla: Il vestiario italiano dal 1500 al 1550, Rom 1940, S. 39.
4 Maurice Brock: Bronzino, Paris 2002, S. 93–103.
5 Mündliche Mitteilung, Oktober 2005.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über Kreide, braun laviert 250mm x 176mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21568 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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