Anonym, 2. Drittel 16. Jahrhundert (italienisch), Zeichner

Anbetung der Hirten

Von Harzen als Arbeit Tizians inventarisiert, lag die Zeichnung zunächst unter den anonymen Italienern des 16. Jahrhunderts. In einer für ein Blatt des Kabinetts ungewöhnlich intensiven Zuschreibungsdebatte wurde die Zeichnung versuchsweise mit Battista Franco (Nicholas Turner), Lattanzo Gambara (Françoise Viatte; Philip Pouncey) und Sodoma (Janos Scholz) in Verbindung gebracht.(Anm.1) Ulrich Middeldorf, Florenz, plädierte entschieden für eine florentinische Herkunft. Er stellte Bezüge zu einem Terrakottarelief im Museo Bandini, Fiesole, her. Zudem sah er Ähnlichkeiten auf Zeichnungen, die Naldini zugeschrieben werden. Für ihn war eine Entstehung im Rahmen der Feierlichkeiten der Hochzeit zwischen Francesco I. und Johanna von Österreich 1565 denkbar.(Anm.2)
1986 schrieb Fortunati Pietrantonio die Zeichnung dem Bolognesen Giovanni Battista Bagnacavallo zu. Sie brachte es mit einem Gemälde in der Pinacoteca Civica in Cento in Verbindung, welches lange Zeit als Werk Bagnacavallos galt, von Sricchia Santoro und Nicole Dacos aber Pieter Kempener zugeschrieben wurde.(Anm.3) Die Hamburger Zeichnung wäre demnach als Vorzeichnung für das Gemälde während des Italienaufenthaltes des Künstlers 1529–1535 entstanden, wobei vielfältige italienische Einflüsse unbestreitbar sind.
Die Zuschreibung an Kempener stieß wiederholt auf entschiedene Ablehnung. Hugo Chapman,(Anm.4) Bert W. Meijer und Jan van der Sman (Anm.5) halten eine Autorschaft Kempeners aus stilistischen Gründen für unwahrscheinlich. Zudem ist die Qualität der Zeichnung für Kempener zu gut. Tatsächlich erreichen andere Kempener zugeschriebene Zeichnungen bei weitem nicht die darstellerische Kraft des Hamburger Blattes.
Da sich die Zeichnung auch nicht voll überzeugend mit gesicherten Blättern Bagnacavallos verbinden lässt, muss die Zuschreibung offen bleiben. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um die Arbeit eines italienischen Künstlers aus dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts.
Unabhängig davon sind die Bezüge zwischen der Hamburger Zeichnung und dem Gemälde in Cento eindeutig, so dass die funktionale Bestimmung als frühe Vorzeichnung sicher richtig ist. Die Zeichnung gibt den unteren Teil der Komposition wieder, wobei sich der Künstler bei den Figuren von Maria, Joseph und den knienden Hirten in Rückansicht von Dürers «Kleiner Passion» inspirieren ließ.(Anm.6) Auf eine frühe Entwurfsstufe deuten auch zahlreiche Pentimenti hin. Griffelspuren dienten der Übertragung der Komposition, wohl auf eine zweite Entwurfszeichnung in Budapest, die das Hochformat des Gemäldes bereits vorwegnimmt.(Anm.7) Ein Entwurfskarton im Gegensinn, aus acht Blatt zusammengesetzt, befindet sich in Bologna.(Anm.8)

David Klemm

1 Notizen auf Karton und im Archiv des Kupferstichkabinetts. Annemarie Stefes, Bremen, ist für die Diskussion des Blattes zu danken.
2 Notiz in der Gernsheim-Kartei des Archivs des Kupferstichkabinetts.
3 Erstmals von Sricchia Santoro 1981, S. 83–84, übernommen von Dacos, vgl. Nicole Dacos: Autour de Bernard Van Orley, Peeter de Kempeneer et son compagnon, in: Revue de l’Art 1987, Nr. 75, S. 17-28, S. 360 und Nicole Dacos: Entre Bruxelles et Séville. Peter de Kempeneer en Italie, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 44, 1993, S. 143-164, S. 163, Anm. 19, mit weiterer Literatur. Vgl. auch das Schreiben von N. Dacos im Archiv des Kupferstichkabinetts v. 25. 8. 1987.
4 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 18. 1. 2008.
5 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 2. 5. 2008.
6 The Illustrated Bartsch 10 (7), 20 (119); der Hinweis stammt von Dacos 1987 a, S. 361.
7 Inv.-Nr. 1443, vgl. Nicole Dacos: Entre Bruxelles et Séville. Peter de Kempeneer en Italie, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 44, 1993, S. 143-164, S. 163, Anm. 16.
8 Musei Civici d’Arte Antica, Collezioni d’Arte di Palazzo d’Acursio, vgl. Fiamminghi a Roma 1508 / 1608. Artistes des Pays-Bas et de la Principaute de Liege a Rome a la Renaissance, Ausst.-Kat. Brüssel, Palais des Beaux-Arts, Rom, Palazzo delle Espozioni, Gent 1995, Nr. 128.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide (Kohle?), Umrißlinien mit Metallstift für eine Durchzeichnung vertieft; auf dem Verso geschwärzt 233mm x 374mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21527 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback