Timoteo Viti, Zeichner

Christus am Ölberg, um 1500

Das sorgfältig gezeichnete Blatt mit einer Darstellung von „Christus am Ölberg“ wird seit jeher Timoteo Viti zugeschrieben. Für Oskar Fischel sprach vor allem der körnige Strich für die Authentizität, die zudem durch die Herkunft aus der Sammlung Viti-Antaldi gestützt wird. Das Blatt gehört zu einer Gruppe von Darstellungen „Christi am Ölberg“ bestehend aus einem Gemälde, einer Miniatur und mehreren Zeichnungen, die erstmals Fischel 1917 zusammenstellte und die von Ferino-Pagden 1982 neu untersucht worden ist. Die Figur des Hamburger Blattes steht in engem Zusammenhang mit einer heute in Cleveland bewahrten Miniatur Vitis (Anm.1), die mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer bereits von Vasari erwähnten Miniatur identisch ist. Dieser berichtete von einer „miniatura bellissima di Timoteo rappresentante Cristo orante nell’orto con tre discepoli (…).“ (Anm.2) Diese Miniatur wiederum entspricht in weiten Teilen einer wohl etwas früher entstandenen kleinen Tafel in der Bristol City Art Gallery. Diese kann womöglich mit einem Gemälde Vitis identifiziert werden, das sich ehemals in einem Kreuzgang von S. Trinità in Urbino befand.(Anm.3) Die Hamburger Studie entspricht in weiten Teilen der Christusfigur auf den beiden Ausführungen. So ist die Faltengebung auf dem Gemälde in Bristol nahezu übereinstimmend. Kleine Detailunterschiede belegen aber, dass es sich bei der Zeichnung um eine Vorstudie handeln muss. Für eine Bewertung des Hamburger Blattes ist eine Zeichnung der Sammlung Antaldi, heute in Pesaro, von besonderem Interesse. Sie weist bezüglich Komposition, Technik und Maßen (270 x 200 mm) sowie hinsichtlich der Provenienz große Übereinstimmungen auf.(Anm.4) Ein Vergleich zeigt, dass das Hamburger Blatt kurz nach dem in Pesaro entstanden sein muss: Es ist sicherer gezeichnet und weist nur wenige Pentimenti, so am rechten Fuß, auf, was auf eine weitgehend ausgereifte Komposition schließen lässt.
Derartig miteinander verbundene Blätter sind in Vitis Œuvre sehr selten nachweisbar. Neben den Zeichnungen in Hamburg und Pesaro belegen weitere Studien der Einzelfiguren in Paris (Anm.5) und London (Anm.6), wie intensiv der Künstler an dem Thema arbeitete. Zudem gibt es Viti zugeschriebene Zeichnungen, die die Gesamtkomposition zeigen.(Anm.7) All diese Studien bzw. Ausführungen dürften im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts entstanden sein; eine nähere Eingrenzung ist allerdings schwierig.(Anm.8)
Bedenkt man die relativ große Anzahl erhaltener Studien, so ist durchaus vorstellbar, dass Viti eine Darstellung von „Christus am Ölberg“ auch in größerer Form, z. B. als Fresko, geplant hat. Allerdings sind von einem solchen Werk keine Nachweise dokumentiert.
Eine der Toskanischen Schule zugeschriebene Zeichnung aus dem frühen 16. Jahrhundert gibt die Figur Christi in einer der Hamburger Version weitgehend entsprechenden Form wieder.(Anm.9) Sie weist allerdings mit der Kombination von Kreide, Feder, Lavierung und Weißhöhung eine differenziertere Zeichentechnik auf. Denkbar ist, dass hier eine zeitgenössische Kopie nach Vitis Bildfindung vorliegt.
Unabhängig hiervon ist Vitis Komposition aufgrund ihrer offensichtlichen niederländischen Einflüsse von Interesse. Fischel fühlte sich an Memlings „Passion Christi“ in der Galleria Sabauda in Turin sowie an eine Kasel im Domschatz von Gubbio und bei den Füßen an Justus van Gent erinnert. Eine exakte Ableitung ist allerdings noch nicht gelungen, sodass hier wohl ganz allgemeine Einflüsse der in Italien genau wahrgenommenen und vielfältig rezipierten niederländischen Kunst vorliegen.

David Klemm

1 Cleveland Museum of Art; vgl. Giovanni Moroni: Timoteo Viti nell’ambiente artistico urbinate tra Quattrocento e Cinquecento, Urbino 2007, S. 128–132.
2 Zitiert nach Oskar Fischel: Die Zeichnungen der Umbrer, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Beiheft zum 38. Bd., Berlin 1917, S. 171.
3 Bristol, City Art Gallery, Inv.-Nr. K 1648; Anna Forlani Tempesti, Grazia Calegari: Da Raffaello a Rossini. La Collezione Antaldi. I disegni ritrovati, Ausst.-Kat. Pesaro, Palazzo Montani-Antaldi, o. O. 2001 , S. 10, Nr. 4.
4 Pesaro, Biblioteca Oliveriana, Inv.-Nr. 429; Anna Forlani Tempesti, Grazia Calegari: Da Raffaello a Rossini. La Collezione Antaldi. I disegni ritrovati, Ausst.-Kat. Pesaro, Palazzo Montani-Antaldi, o. O. 2001 , S. 10–11, Nr. 4.
5 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 6793.
6 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1895–9-15-681; Philip Pouncey, John A. Gere: Italian Drawings in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. Raphael and his Circle, 2 Bde., London 1962, I, S. 152, Nr. 256.
7 Disegni Umbri del Rinascimento da Perugino a Raffaello, bearb. v. Sylvia Ferino-Pagden, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LVIII, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1982, S. 128–130.
8 Vgl. die Argumentation vonDisegni Umbri del Rinascimento da Perugino a Raffaello, bearb. v. Sylvia Ferino-Pagden, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LVIII, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1982, S. 130. Ferino-Pagden plädierte für die Jahre um 1500.
9 Aukt.-Kat. London, Christie’s, Old Master Drawings, 9. 4. 1990, S. 9, Nr. 1, mit Abb.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide; z.T. hinterlegt 266mm x 180mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21496 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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