Raffael (Umkreis), Zeichner

Stehender Mönch mit Buch in den Händen, um 1500(?)

Die Zeichnung eines in sich gekehrten stehenden Mönches wurde seit Georg Ernst Harzen Timoteo Viti zugeschrieben. Hierbei dürfte Harzen vor allem auf die Einordnung in der Sammlung Woodburn, aus der er das Blatt erwarb, zurückgegriffen haben. Diese Einschätzung wurde schon 1891 von Koopmann bezweifelt, der eine mögliche Autorschaft Raffaels in Erwägung zog. Es ist bezeichnend, dass Fischel die Zeichnung im Rahmen seiner Untersuchung über die Zeichnungen der Umbrer nicht für Viti reklamierte. Dies erscheint völlig nachvollziehbar, wenn man die Strichtechnik dieses Blattes mit den anderen mit Viti in Zusammenhang gebrachten Blättern vergleicht (s. Inv.-Nrn. 21493, 21494). Der bisherigen Zuschreibungspraxis zufolge zeichnet Viti wesentlich kleinteiliger und vor allem vorsichtiger. Interessanterweise hat Fischel das Blatt keinem anderen Zeichner zugewiesen. Seitdem blieb es unbeachtet.
2005 haben Achim Gnann und Konrad Oberhuber mit gebührender Vorsicht wiederum Raffael als möglichen Autor in Erwägung gezogen.(Anm.1) Sie brachten die Zeichnung mit dessen Frühwerk in Verbindung. Nicholas Turner bezweifelte diese Einschätzung, da ihm die Federführung insgesamt zu unsicher scheint.(Anm.2) In diese Richtung argumentierte auch Hugo Chapman 2008.(Anm.3) Seiner Ansicht nach ist selbst der junge Raffael schon in der Lage, seinen Entwürfen Volumen und klare Struktur zu geben. Vor allem das Gewand erscheint ihm zu wenig durchdacht. Für ihn ist der Autor des Blattes eher im Perugino-Umkreis zu suchen. Ein Vergleich mit dem von Chapman angeführten Frankfurter Blatt Raffaels mit der Darstellung des Hl. Nikolaus von Tolentino zeigt, dass auch dort – so im unteren Bereich des Gewandes – keineswegs jede Linie einer klaren Funktion folgt.(Anm.4) Achim Gnann hat darauf hingewiesen, dass auch auf anderen Zeichnungen Raffaels Reuezüge und nicht immer logisch nachvollziehbare Linien auftreten.(Anm.5) Sie dokumentieren Raffaels experimentelle Zeichenweise, die Pentimenti und Verzeichnungen zulässt. Vor diesem Hintergrund ist das Hamburger Blatt keineswegs ungewöhnlich. Zudem ist die Anlage der beiden Mönchsfiguren in Frankfurt und Hamburg durchaus ähnlich. Vergleichbar erscheinen z. B. die plastische Herausarbeitung des Kopfes mittels Parallelschraffuren oder die Verstärkungszüge der Konturlinien, auch wenn diese in Hamburg insgesamt unruhiger angelegt sind. Hinsichtlich der Anlage der Schraffuren sind beide Zeichnungen sehr variabel, wodurch sie bisweilen unruhig wirken. In Abwägung aller Argumente erscheint eine Zuschreibung an Raffael selbst als problematisch. Es könnte sich bei der vorliegenden Zeichnung indessen um eine Kopie einer Erfindung Raffaels handeln.

David Klemm

1 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle. Die Beurteilung von Konrad Oberhuber erfolgte auf der Grundlage einer Digitalphotographie.
2 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
3 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 18.1.2008.
4 Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 376; vgl. Hugo Chapman, Tom Henry, Carol Plazzotta: Raphael from Urbino to Rom, Ausst.-Kat. London, National Gallery, London 2004, S. 130–131.
5 Mündliche Mitteilung, Februar 2008. Vgl. z. B. die Sitzfigur eines Heiligen, Paris, Louvre, Département des Art Graphiques, Inv.-Nr. 1609. Dort finden sich auch an den Armen doppelte Konturlinien sowie Teile des Gewandes, die gar nicht schraffiert, d. h. in ihrer Funktion geklärt werden.

Nach neuerer Einschätzung handelt es sich doch eher um eine Zeichnung nach einer verlorenen Studie Raffaels. Eine ausführlicher Erläuterung dieser neuen Position folgt im Zuge der geplanten Ausstellung der Kunsthalle.

DK

Kunst- und materialtechnologische Untersuchungen:
Die Zeichnung wurde 2020 anlässlich der Ausstellung "Raffael. Wirkung eines Genies" (2021) erstmals grundlegend kunst- und materialtechnologisch untersucht, die Untersuchungsergebnisse wurden im gleichnamigen Ausstellungskatalog vollumfänglich publiziert. Die technischen Angaben in der Datenbank wurden anhand der vorliegenden Resultate wie folgt verändert:
Alt: Feder in Braun
Neu: Feder in Braun über Bleigriffel, Initialen T.V.V. und Einfassungslinie: Feder in Braun, Vergépapier mit vollständigem Wasserzeichen (Passionslamm in einem Kreis mit sechszackigem Stern)

Sabine Zorn (20210419)

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über Bleigriffel, Initialen T.V.V. und Einfassungslinie: Feder in Braun, Vergépapier mit vollständigem Wasserzeichen (Passionslamm in einem Kreis mit sechszackigem Stern) 280mm x 130mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21492 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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