Francesco di Simone Ferrucci

Studienblatt mit dem Apostel Paulus, einem Engel und weiteren Figuren, 1487/89

Das von Georg Ernst Harzen Sandro Botticelli zugeschriebene Blatt wurde im ersten Inventar des Kupferstichkabinetts um 1890 als Werk Andrea Verrocchios eingetragen. 1896 erkannte Georg Gronau, dass es sich um eines der Blätter eines im 19. Jahrhundert aufgelösten sogenannten Verrocchio-Skizzenbuches handelt.(Anm.1) Weitere Blätter befinden sich in Berlin, Kupferstichkabinett (1), Chantilly, Musée Condé (8), Florenz, Uffizien (1), London, British Museum (3), New York, Metropolitan Museum of Art (1), Paris, Musée du Louvre (10), Paris, École Nationale Supérieure des Beaux-Arts (2). Sämtliche Zeichnungen stellen sogenannte Sammelblätter dar, auf denen jeweils neben zeichnerischen Kopien auch eine Vielzahl von Studien für Skulpturen und Gemälde vereinigt sind. Die ursprüngliche Zuschreibung des Skizzenbuches an Verrocchio ist insofern nachvollziehbar, als zahlreiche Figurenstudien an Erfindungen dieses Künstlers erinnern. Inzwischen hat sich jedoch die zunächst von Morelli (Anm.2) geäußerte Meinung durchgesetzt, dass hier die Hand des Verrocchio-Schülers Francesco di Simone Ferrucci zu erkennen ist.(Anm.3) Auf die mögliche Entstehungszeit der Blätter weisen Jahreszahlen wie 1487 und 1489 hin. 2007 hat Linda Pisani das Skizzenbuch der Werkstatt des Ferrucci zugeschrieben. Diese Einschätzung ist von Lorenza Melli abgelehnt worden.(Anm.4) Es scheint schwer vorstellbar, dass verschiedene Künstler die in ihrer Anlage sehr ähnlichen Blätter gezeichnet haben könnten.
Schulze Altcappenberg hat die Charakteristika der Gruppe zusammengestellt: Typisch sind „eine grundsätzlich offene Form, die sporadische Verteilung der Elemente, welche die Löschung oder Überlagerung von Vorhandenem in Kauf nimmt, weiter die Durchmischung von figürlichen, dinghaften, schriftlichen und frei schwebenden, quasi kalligraphischen Notizen.“(Anm.5) Übereinstimmend sind auch technische Aspekte, wie die variable Handhabung der Feder, was sowohl in der fahrigen Andeutung über die breit und füllig schraffierte Studie bis hin zum reinen Konturriss zum Ausdruck kommt.(Anm.6)
Das Hamburger Blatt zeigt neben einer laufenden weiblichen Gestalt sowie einem sitzenden männlichen Akt den Apostel Paulus mit geschultertem Schwert. Die in Bleigriffel gegebene, ruhende weibliche Gestalt kehrt auf dem Recto des erwähnten Berliner Blattes als ruhende Venus mit Amorknaben wieder.(Anm.7)
Von besonderer Bedeutung ist das Verso, da es als einzige Rückseite der Gruppe eine längere Beschriftung aufweist. Diese gibt in vielerlei Hinsicht Aufschluss über die Arbeitsabläufe in einer florentinischen Werkstatt des späten 15. Jahrhunderts. Erwähnt werden z. B. der Austausch von Modellen und die Honorierung eines jungen Papierhändlers.(Anm.8)

David Klemm

1 Zum Skizzenbuch vgl. ausführlich Linda Pisani: Francesco di Simone Ferrucci. Itinerari di uno scultore fiorentino fra Toscana, Romagna e Montefeltro, Fondazione Carlo Marchi, Studi 21, Florenz 2007, S. 82–87 mit sämtlicher Literatur und den genauen technischen Angaben zu allen Blättern.
2 Bernard Berenson: The Drawings of the Florentine Painters. Amplified Edition, 3 Bde., Chicago 1938, I, S. 48, Anm. 3.
3 Gronau diskutierte 1896 eine mögliche Zuschreibung an Ferrucci, verwarf sie dann aber wieder.
4 Mündliche Mitteilung, März 2008. Das in Bezug auf Maße und Zeichenstil gut in die Gruppe passende New Yorker Blatt wurde bereits von Jacob Bean unter Mitarbeit v. Lawrence Turčić: 15th and 16th Century Italian Drawings in the Metropolitan Museum of Art, New York 1982, S. 92–94, nur unter Vorbehalt Ferrucci zugeschrieben. Beide Autoren hegten Zweifel, da einige Inschriften auf den Blättern sich nicht leicht mit Francesco di Simone vereinbaren lassen. Andererseits sind die Zeichnungen des Skizzenbuches sehr nahe einem Entwurf im Stockholmer Nationalmuseum, der wohl als Originalstudie Francesco di Simones für das Grabmal Alessandro Tartagnis in S. Domenico in Bologna anzusehen ist. Vgl. Jacob Bean unter Mitarbeit v. Lawrence Turčić: 15th and 16th Century Italian Drawings in the Metropolitan Museum of Art, New York 1982, S. 94. Zur komplizierten Diskussion der Autorschaft vgl. auch Arthur Ewart Popham, Philip Pouncey: Italian Drawings in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. The Fourteenth and Fifteenth Centuries, 2 Bde., London 1950.
5 Die italienischen Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts im Berliner Kupferstichkabinett, bearb. v. Hein-Th. Schulze Altcappenberg, hrsg. v. Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Saarbrücken, Saarland Museum, Berlin 1995, S. 144.
6 Ebd.
7 Vgl. Die italienischen Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts im Berliner Kupferstichkabinett, bearb. v. Hein-Th. Schulze Altcappenberg, hrsg. v. Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Saarbrücken, Saarland Museum, Berlin 1995, S. 144., mit Abb.
8 Vgl. ausführlich Linda Pisani: The Exchange of Models in Florentine Workshops of the Quattrocento. The Text of a Sheet from ‘Verrocchio’s Sketchbook’, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institute 47/48, 2004, S. 269-294.

Details zu diesem Werk

Feder und schwarzer Stift, rote Kreide 259mm x 190mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21479 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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