Domenico Campagnola

Das Urteil des Midas, um 1520

Das Recto zeigt ein in der Renaissance beliebtes Thema, den Musikwettstreit zwischen Pan und Apoll, den der zum Richter bestellte Berggott Tmolus zu Gunsten Apolls entschied. König Midas, der um seine Meinung nicht gefragt worden war, nannte das Urteil ungerecht. Die Zeichnung zeigt den Augenblick, in dem der über die Einmischung verärgerte Apoll Midas und Pan bestraft: Midas wachsen Eselsohren und Pan wird mit einem Fußtritt malträtiert.
In Harzens Inventaren wird das Blatt als Arbeit Tizians eingestuft, eine Einschätzung der Antonio Morassi noch 1954 unter Verweis auf dessen Frühwerk folgte.(Anm.1) Dieser sich auch im Inventar des Kupferstichkabinetts widerspiegelnden Meinung stand seit 1891 Wilhelm Koopmanns grundsätzlicher Zweifel an den Tizian-Blättern der Kunsthalle gegenüber. Sein Vorstoß, das Konvolut Domenico Campagnola zuzuordnen, blieb jedoch unbeachtet. So dauerte es bis 1978, ehe Elisabetta Saccomani die Zeichnung eindeutig Domenico Campagnola zuwies. Tatsächlich scheint diese Zuschreibung unzweifelhaft, sind doch der schematische Gebrauch der Linien und das Stilmittel, die Gesichter vor kräftige Schraffuren im Hintergrund zu setzen, typisch für Domenico Campagnola. Charakteristisch ist auch, wie Saccomani betonte, der variable Gebrauch der Feder, der z. B. in der sensiblen Gestaltung des Rückens von Apoll einerseits und den kraftvollen Zügen auf dem Korpus des Instruments andererseits zum Ausdruck kommt. Saccomani datierte das Blatt auf die Zeit nach 1517, während Wethey für „um 1520“ plädierte.
Wohl etwas früher entstand die ebenfalls qualitätvolle Verso-Zeichnung zweier Männer in einer Landschaft, die stark beschnitten ist. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Zeichnung zuerst entstand, jedoch vom Künstler verworfen und zerschnitten wurde, um die noch unbezeichnete zweite Seite des Blattes weiter zu verwenden. Die fragmentarisch erhaltene Verso-Zeichnung wurde von Harzen ebenso wie das Recto Tizian zugeschrieben. Tatsächlich bestehen Ähnlichkeiten mit einer Tizian zugeschriebenen Zeichnung im Teylers Museum in Haarlem.(Anm.2) Der Haarlemer Kopf ist jedoch sorgfältiger und detailreicher angelegt. Bereits Berenson hatte bei einem Besuch im Kabinett in den 1920er Jahren Zweifel an der Eigenhändigkeit Tizians.(Anm.3) Seitdem hat sich die Zuweisung an Domenico Campagnola durchgesetzt. Stilistisch nahe stehend sind dessen Zeichnung „Jakob und Rebekka vor Isaak“ (Anm.4) und die „Köpfe zweier alter Männer“ in der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris.(Anm.5) Harzen identifizierte die rechte Figur als Apostel Markus mit dem Löwen; Saccomani gab beide Figuren als Evangelisten an. Thomas Ketelsen wies in einem unpublizierten Manuskript darauf hin, dass es sich wohl eher um den Hl. Hieronymus mit dem Löwen (links) und einen weiteren Heiligen mit einem Wanderstab (Hl. Antonius ?) handelt. Die Datierung dürfte ebenfalls in der Frühzeit des Künstlers um 1520 anzusetzen sein. Saccomani datierte das Blatt in die frühen 1520er Jahre, wobei ihre Abfolge der Entstehung von Recto und Verso mit dem Befund des beschnittenen Papiers (siehe oben) nicht in Einklang zu bringen ist.(Anm.6)

David Klemm

1 Wichtige Angaben zu dieser Nummer folgen einem unpublizierten Manuskript von Thomas Ketelsen, dem für die Benutzung herzlich gedankt sei. Im Archiv des Kupferstichkabinetts ist vermerkt, dass sowohl Bernard Berenson als auch ein anonymer Besucher Bezüge zu Romanino ausgemacht haben.
2 Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. K I, 43; vgl. Carel van Tuyll van Serooskerken: The Italian Drawings of the Fifteenth and Sixteenth Centuries in The Teyler Museum. Haarlem, Ghent, Doornspijk 2000, S. 446–447.
3 Archiv des Kupferstichkabinetts.
4 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 1772 F.
5 Paris, École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 312 Recto u. Verso.
6 Elisabetta Saccomani: Apports et précisions au catalogue des dessins de Domenico Campagnola, in: Disegno. Actes du Colloque du Musée des Beaux-Arts de Rennes 9-10 novembre 1990, S. 31-36, S. 35.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun; am rechten Rand restauriert und ergänzt (in brauner Tusche von anderer Hand) 142mm x 168mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21474 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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