Pietro di Cristoforo Vannucci, gen. Perugino (Werkstatt)

Der kniende Hl. Joseph, um 1500

Die Zeichnung eines knienden bärtigen Mannes wurde stets mit Pietro Perugino in Verbindung gebracht. Georg Ernst Harzen und die ersten Verwalter des Kupferstichkabinetts hielten sie für eine eigenhändige Arbeit, während Gustav Pauli in den 1920er Jahren erstmals ernste Zweifel äußerte. Er sah in der Zeichnung eher die Kopie eines Schülers nach einem Fresko oder einer dafür angefertigten Studie. Tatsächlich wirkt die Zeichnung hart, bisweilen ungelenk (vgl. das linke Bein), und ihr fehlt jene inspirierte Ausdruckskraft, die originale Entwürfe Peruginos auszeichnet. Diese Qualitäten weist eine in den Uffizien bewahrte Vorstudie für das um 1500 entstandene Fresko der Cumäischen Sibylle im Collegio del Cambio in Perugia auf. Diese Studie erscheint deutlich lebendiger, skizzenhafter und freier.(Anm.1)
Malke und Schaar brachten das Blatt mit einer Figur des Joseph auf der „Anbetung der Könige“ in eben jenem Audienzsaal der Wechslerzunft von Perugia in Verbindung. Tatsächlich stimmt die Kniefigur im Allgemeinen mit dem Fresko überein, doch gibt es allzu viele Detailunterschiede, die einen direkten Zusammenhang ausschließen.
Überzeugender lässt sich die Hamburger Zeichnung mit Peruginos „Anbetung der Könige“ in Montefalco bei Perugia verbinden. Wiederum besteht eine große grundsätzliche Ähnlichkeit, doch stimmen hier auch viele Details wie der kurze Bart, die dünnen Kopfhaare, der abgespreizte rechte Daumen besser als beim Fresko im Cambio überein. Unterschiede bestehen in der Anordnung der Gewandfalten, die im Fresko vereinfacht sind. Da sich zudem zahlreiche Pentimenti in der Konturführung zeigen, könnte man annehmen, dass das Hamburger Blatt als Vorzeichnung für das Fresko in Montefalco gedient hat. Die bereits genannten Schwächen in der Ausführung schließen dies jedoch aus. So dürfte die Zeichnung mit großer Sicherheit nach einer verlorenen Vorstudie Peruginos, nicht aber nach dem Fresko, in seiner Werkstatt entstanden sein.
Das Hamburger Blatt gehört zu einer Gruppe von Zeichnungen, die alle auf eine intensive Kopiertätigkeit in Peruginos Werkstatt schließen lassen. Beispielhaft erwähnt sei eine in ähnlicher Technik ausgeführte Werkstattkopie des knienden Joseph des Cambio-Freskos im Frankfurter Städel.(Anm.2) Allerdings bestehen zwischen den Blättern im Städel und in der Kunsthalle Unterschiede in der Strichführung, sodass von verschiedenen Händen ausgegangen werden kann. Eine Zuweisung der Blätter an konkrete Persönlichkeiten ist bislang nicht möglich.(Anm.3)

David Klemm

1 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 399 E; Vgl. Disegni Umbri del Rinascimento da Perugino a Raffaello, bearb. v. Sylvia Ferino-Pagden, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LVIII, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1982, S. 52–54, mit Abb.
2 Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 6395; Italienische Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts aus eigenen Beständen, bearb. v. Lutz Malke, Ausst.-Kat. Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut, Städtische Galerie, Frankfurt a. M. 1980, S. 148, Nr. 72.
3 Vgl. zu diesem Problemkreis Disegni Umbri del Rinascimento da Perugino a Raffaello, bearb. v. Sylvia Ferino-Pagden, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi LVIII, Ausst.-Kat. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi 1982 und I disegni italiani del Quattrocento nel Kupferstich-Kabinett di Dresda, bearb. v. Lorenza Melli, Ausst.-Kat. Florenz, Istituto Universitario Olandese di Storia dell’Arte, Florenz 2006.

Details zu diesem Werk

Silberstift, weiß gehöht, auf graubraun gestrichenem Papier; aufgezogen und mit einer Rahmung versehen 208mm x 137mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21469 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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