Polidoro Caldara, gen. Caravaggio

Landschaft mit der Auferweckung des Lazarus, um 1523

Um 1510 begann im Umkreis Raffaels eine Spezialisierung auf einzelne künstlerische Aufgaben. Wichtigster Vertreter der Landschaftsdarstellung wurde Polidoro da Caravaggio durch seine Fresken in der römischen Kirche S. Silvestro al Quirinale. Doch auch auf einigen Zeichnungen lässt sich sein Interesse für dieses Genre feststellen.
Das Blatt mit der „Auferweckung des Lazarus“ wurde zunächst von Harzen als anonymes Werk eines italienischen Zeichners des 16. Jahrhunderts eingestuft. Im ersten Inventar der Kunsthalle gab man es dem Ferrareser Meister Benvenuto Tisi, genannt Garofalo, und folgte hiermit der Einschätzung eines englischen Sammlers des 18. oder frühen 19. Jahrhunderts. Dessen irrigem Vermerk auf der Montierung zufolge soll das Blatt eine Studie für ein Gemälde der Franziskanerkirche in Ferrara darstellen.(Anm.1)
Es war offensichtlich Alfred Neumeyer, der 1928 – allerdings noch zweifelnd – erstmals Polidoro als Urheber in Erwägung zog.(Anm.2) Evelina Borea ordnete dann 1961 das Blatt ohne jeden Vorbehalt dem Œuvre Polidoros zu.(Anm.3) Tatsächlich lässt sich eine Gruppe ähnlich gezeichneter Blätter zusammenstellen, die heute allesamt sicher Polidoro zugeschrieben werden können. Besonders enge Verwandtschaft besteht zu der in der Pierpont Morgan Library bewahrten Zeichnung „Moses schlägt das Wasser aus dem Felsen“.(Anm.4) Diesen Blättern ist eine dem Chiaroscuro-Holzschnitt ähnliche Erscheinungsform eigen. Mit großer Sensibilität verstand es Polidoro, Figuren, Naturformen und Architekturen mit feinsten Weißhöhungen vom gefärbten Fond abzuheben. Derartige Zeichnungen entstanden offensichtlich vornehmlich zwischen 1518 und 1523 in der römischen Phase des Künstlers.(Anm.5) Das Hamburger Blatt lässt sich keinem konkreten Werk zuordnen. So muss offen bleiben, ob es als Vorzeichnung für ein nicht ausgeführtes oder verlorenes Projekt diente. Der hohe Vollendungsgrad lässt es zumindest möglich erscheinen, dass mit dieser und ähnlichen Zeichnungen bereits in sich abgeschlossene bildhafte Kompositionen vorliegen. Trotz der Verwendung von Figuren zählen das Hamburger Blatt und die mit ihm vergleichbaren Werke zu den wichtigsten Beispielen der aufkommenden Landschaftszeichnung in Italien im frühen 16. Jahrhundert.

David Klemm

1 Vgl. die Angaben zur Beschriftung.
2 Alfred Neumeyer: Einige italienische Handzeichnungen aus dem Hamburger Kupferstichkabinett, in: Zeitschrift für Bildende Kunst 62, N. F. 38, 1928/29, S. 43-48, S. 47.
3 Evelina Borea: Vicenda di Polidoro da Caravaggio, in: Arte Antica e Moderna 13-16, 1961, S. 209-227, S. 220.
4 New York, Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. IV, 17; vgl. Lanfranco Ravelli: Polidoro Caldara da Caravaggio. I. Disegni di Polidoro II. Copie da Polidoro, Monumenta Bergomensia XLVIII, Mailand 1978, S. 94, Nr. 2, mit Abb.
5 Ebd., S. 103.




Um 1510 begann im Umkreis Raffaels eine Spezialisierung auf einzelne künstlerische Aufgaben. Wichtigster Vertreter der Landschaftsdarstellung wurde Polidoro da Caravaggio durch seine Fresken in der römischen Kirche S. Silvestro al Quirinale. Doch auch auf zahlreichen Zeichnungen läßt sich sein Interesse für dieses Genre feststellen.
Das Blatt der Auferweckung des Lazarus wurde zunächst von Harzen als anonymes Werk eines italienischen Zeichners des 16. Jahrhunderts eingestuft. Im ersten Inventar der Kunsthalle gab man das Blatt dem Garofalo und folgte hiermit der Einschätzung eines englischen Sammlers des 18. oder frühen 19. Jahrhunderts. Dessen irrigem Vermerk auf der Montierung zufolge soll das Blatt eine Studie für ein Gemälde der Franziskanerkirche in Ferrara darstellen.(FN1).
Es war offensichtlich Alfred Neumeyer, der 1928 - allerdings noch zweifelnd – erstmals Polidoro als Urheber in Erwägung zog. Evelina Borea hat dann 1961 das Blatt ohne jeden Vorbehalt dem Oeuvre Polidoros zugeordnet. Tatsächlich läßt sich eine Gruppe ähnlich gezeichneter Blätter zusammenstellen, die heute allesamt sicher Polidoro zugeschrieben werden können. Besonders enge Verwandtschaft besteht z. B. zu der in der Pierpont Morgan Library bewahrten Zeichnung "Mose schlägt das Wasser aus dem Felsen".(FN2) All diesen Blättern ist eine dem Chiaroscuro-Holzschnitt ähnliche Erscheinungsform eigen. Mit großer Sensiblität verstand es Polidoro, Figuren, Naturformen und Architekturen mit feinsten Weißhöhungen vom gefärbten Fond abzuheben. Derartige Zeichnungen entstanden offensichtlich vornehmlich zwischen 1518 und 1523 in der römischen Phase des Künstlers.(FN3) Das Hamburger Blatt läßt sich keinem konkreten Werk zuordnen. So muß offen bleiben, ob es eine Vorzeichnung für ein nicht ausgeführtes oder verlorenes Projekt war. Der hohe Vollendungsgrad läßt es zumindest möglich erscheinen, dass mit dieser und ähnlichen Zeichnungen bereits vollendete bildhafte Kompositionen vorliegen. Trotz der Verwendung von Figuren zählen das Hamburger Blatt und die mit ihm vergleichbaren Werke zu den wichtigsten Beispielen der aufkommenden Landschaftszeichnung in Italien im frühen 16. Jahrhundert.

(FN1) Vgl. die Angaben zur Beschriftung.
(FN2) Ravelli 1978, S. 94, Nr. 2 mit Abb.
(FN3) Ravelli 1978, S. 103.

Details zu diesem Werk

Pinsel in Braun, weiß gehöht, auf bräunlichem Papier; montiert und mit Rahmung versehen 193mm x 286mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21446 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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