Anonym, Mittelitalien (Florenz ?), um 1500

Ansicht einer Stadt in hügeliger Landschaft, um 1510

Das Blatt weist eine interessante Kombination nördlicher und südlicher Stil- und Formelemente auf. So lässt die Stadtansicht eindeutig nordalpine Züge erkennen. Diese sind im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert nicht nur in Deutschland und den Niederlanden, sondern auch wiederholt im Hintergrund von Gemälden italienischer Künstler nachweisbar. Die Vermittlung derartiger Formen dürfte durch Gemälde und Druckgraphiken erfolgt sein. Vergleichbar mit der Hamburger Lösung sind Stadtansichten auf Zeichnungen in dem sogenannten Raffael-Skizzenbuch („Libretto di Raffaello“) in Venedig.(Anm.1) Daher ist es nicht verwunderlich, dass sowohl Georg Ernst Harzen als auch die ersten Verwalter des Kabinetts die Zeichnung diesem Künstler zuschrieben.
Die Blätter ähneln sich in der ruhigen Parallelschraffierung sowie im Verzicht auf Lavierung, doch wird auf dem Hamburger Blatt der Landschaft im Vordergrund mehr Platz eingeräumt. Hier werden die Konturen des Laubwerks zum Teil aus kleinen Häkchen gebildet, wohingegen auf den Zeichnungen in Venedig rundere und etwas geschlossenere Konturen vorherrschen. Zudem sind die topographischen Motive im Skizzenbuch im Gegensatz zur Hamburger Zeichnung eindeutig aus Umbrien entlehnt bzw. dort gezeichnet worden.
Im Gegensatz zur Stadtgestalt verweist die Art der Schraffur und die lockere Behandlung der Landschaft stärker auf eine Entstehung südlich der Alpen. Aufgrund der stilistischen Anklänge an Fra Bartolommeo oder Domenico Ghirlandaio ist – wie Chris Fischer bestätigte (Anm.2) – eine Entstehung in Mittelitalien um 1500 denkbar. Janos Scholz dachte an einen aus der Toskana stammenden Nachfolger Fra Bartolommeos.(Anm.3)
Interessanterweise ist das Hamburger Blatt – wie die Blätter in Venedig – nummeriert, was auf eine mögliche Herkunft aus einem Skizzenbuch hindeutet. Eine Zugehörigkeit zu dem sogenannten Raffael-Skizzenbuch ist allerdings nicht nur aus stilistischen Gründen auszuschließen, sondern auch, weil die Maße nicht der Seitengröße desselben entsprechen.
In Stockholm befindet sich ebenfalls eine Gruppe von Landschaftszeichnungen, die dem Umkreis Fra Bartolommeos zugeschrieben werden.(Anm.4) Diese Blätter sind offensichtlich feiner gezeichnet und weisen zudem eine andere Schraffierung des Laubwerks auf.

David Klemm

1 Venedig, Gallerie dell’ Accademia, „Libretto di Raffaello“ Nr. 74 r. u. v., 75 r. u. v.; vgl. Sylvia Ferino-Pagden: Disegni umbri. Gallerie dell’Accademia di Venezia, Mailand 1984, S. 107–110. Zum Skizzenbuch insgesamt vgl.Sylvia Ferino-Pagden: Disegni umbri. Gallerie dell’Accademia di Venezia, Mailand 1984, S. 33–140.
2 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
3 Kartonnotiz.
4 Vgl. z. B. Stockholm, Nationalmuseum, Inv.-Nr. NM 275/1863; Inv.-Nr. NM 279/1863; vgl. Renässansteckingar från Florens ur Giorgio Vasaris samling, Nationalmusei utställningskatalog 623, Ausst.-Kat. Stockholm, Nationalmuseum, Stockholm 2001, o. S., Nr. 1077, 1079.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, Spuren von Rötel; aufgezogen 204mm x 268mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21420 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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