Antonio Pollaiuolo (Werkstatt), Zeichner
Antonio del Pollaiuolo, Umkreis

Geißelung Christi, um 1480(?)

Das Blatt gelangte mit der Zuschreibung an Antonio Pollaiuolo in die Sammlung. In den folgenden Jahrzehnten wurde es dann in den Werkstattbereich des Künstlers eingeordnet. Tatsächlich weist das stark beschädigte Blatt in der Zeichentechnik eine große Nähe zu Pollaiuolos Arbeiten auf. Hein-Th. Schulze Altcappenberg erkannte in der Art der relativ sparsam gesetzten Schraffuren Ähnlichkeiten zu gesicherten Zeichnungen des Künstlers.(Anm.1) Zudem finden sich auf Pollaiuolos Werken häufiger auch Figuren, die wie diejenigen hier mit eher vorsichtigen, die plastische Wirkung unterstreichenden Lavierungen gestaltet sind. Wenn auch die Studie qualitativ nicht an gesicherte eigenhändige Blätter Pollaiuolos heranreicht, erscheint dennoch eine Einordnung in den engeren Werkstattbereich sinnvoll. Diese Einschätzung findet durch das mit zahlreichen Skizzen versehene Verso eine Bestätigung. Die unvermittelte Anordnung dieser Fragmente deutet auf den Studiencharakter des Blattes hin, wie er für Werkstattpraktiken typisch ist. Interessanterweise wirkt die von der Kunsthalle als Verso bestimmte Seite gegenüber dem Recto spontaner und freier gezeichnet.
Gleichwohl ist das Recto trotz der etwas steiferen Zeichenweise von größerem Interesse. Denn unverkennbar überliefert das Blatt eine ansonsten für keine eigenhändige Zeichnung nachweisbare Komposition Pollaiuolos. Dass es sich ursprünglich um eine Entwurfszeichnung gehandelt haben muss, belegt die Nacktheit der Schergen. So ist anzunehmen, dass es Pollaiuolo in dieser Phase der Werkentstehung vor allem um die Klärung anatomischer Fragen und der Gesamtanlage gegangen sein muss. Gut verbinden lassen sich die Schergen in ihren exaltierten Haltungen mit einem der von Pollaiuolo entworfenen Tänzer der Villa La Gallina in Arcetri bei Florenz.
Ein Reflex der offensichtlich verlorenen bildnerischen Umsetzung dieser Komposition Pollaiuolos läßt sich fernab von Florenz in der Provinz nachweisen. Denn ein wohl im späten 15. Jahrhundert entstandenes Gemälde mit der „Geißelung Christi“, das sich einst in der Kathedrale von Atri befand, weist eine große Ähnlichkeit mit der auf dem Hamburger Blatt überlieferten Komposition auf.(Anm.2) Die Unterschiede sind relativ gering und können auch auf eine fortgeschrittenere Entwurfsfassung – z. B. mit den nun bekleideten Schergen – zurückgeführt werden. Die Bedeutung der Hamburger Zeichnung liegt demnach weniger in einer herausragenden künstlerischen Qualität als vielmehr darin, dass sie möglicherweise ein verlorenes Werk eines bedeutenden Renaissancekünstlers überliefert. Zudem vermittelt die Verbindung mit dem Gemälde in Atri neue Erkenntnisse über Rezeption und Wirkung Pollaiuolos.

David Klemm

1 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
2 Vgl. Alison Wright: The Pollaiuolo Brothers. The Arts of Florence and Rome, New Haven, London 2005, S. 419. Wright bringt das Bild von Atri als Beleg dafür, wie Pollaiuolos Ideen bis in die Provinz hinein wirken. Die von Alison Wright angeführten Vorbilder sind wie im Falle der Tänzer von Arcetri plausibel, bei der Ableitung der Christus-Figur von Pollaiuolos Adam aber nicht voll überzeugend.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über schwarzem Stift, braun laviert, minimal weiß gehöht (vollständig oxidiert) auf grauem Papier; aufgezogen; Papier an mehreren Stellen ergänzt 223mm x 382mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21353 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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