Parmigianino, eigentlich Francesco Mazzola, Zeichner

Die Begegnung von Alexander und Roxane (?), um 1527

Die Zeichnung mit der „Begegnung von Alexander und Roxane“ wurde stets und ohne jeden Zweifel Parmigianino zugeschrieben. In ihrer eleganten Linienführung und gekonnten Lavierung ist sie ein Musterbeispiel für dessen vorzügliche Zeichenkunst.
Das Blatt zeigt dabei nur den größeren rechten Teil einer Komposition, die durch zwei einander ähnelnde Handzeichnungen im belgischen Privatbesitz (Anm.1) bzw. im Louvre (Anm.2) sowie durch Faksimile-Reproduktionen von Lucas Vorsterman (Anm.3) und Conrad Martin Metz (Anm.4) gut dokumentiert ist. Dass das Hamburger Blatt ehemals auch die Gesamtkomposition gezeigt haben dürfte, belegt die Beobachtung, dass die auf dem Verso befindliche handschriftliche Bezeichnung des englischen Sammlers John Barnard im rechten Bereich leicht beschnitten worden ist.
Das Hamburger Blatt stimmt im Wesentlichen mit den anderen Fassungen überein, doch gibt es auch interessante Unterschiede. So hat Parmigianino hier das Motiv des in einen Spiegel schauenden Putto näher an die nackte Frau herangerückt. Weggelassen wurde auf dem Hamburger Blatt ein den Degen des Mannes tragender Putto am rechten Bildrand. Verändert wurde auch die Beziehung der beiden Hauptpersonen. Denn während die Frau auf dem Gesamtentwurf in Gedanken versunken erscheint, versucht sie auf der Hamburger Zeichnung, Kontakt aufzunehmen. In der psychologischen Zuspitzung dieser erotischen Situation liegt eine besondere Qualität des Blattes. Unverkennbar hat Parmigianino dabei die thematisch vergleichbaren Werke seiner Zeitgenossen Raffael, Rosso Fiorentino und Sodoma studiert, deren Interpretation der Begegnung zwischen Mann und Frau er jedoch kompositionell auf geniale Weise verdichtet.(Anm.5)
Eine exakte Datierung des Blattes ist schwierig. Popham hat die mit der Komposition zu verbindenden Studien des Künstlers aus stilistischen Gründen an das Ende der römischen Periode bzw. an den Beginn der Bologneser Zeit eingeordnet. Oberhuber und Gnann dachten dagegen an eine spätere Entstehung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre (um 1532/35) in Parma.(Anm.6) Eine malerische Umsetzung ist nicht überliefert. Eine in anderer Technik ausgeführte schwache Kopie der Komposition befindet sich in der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris.(Anm.7)
Probleme hat die ikonographische Bestimmung der Szene hervorgerufen. Zu sehen ist die Begegnung eines mit einer Rüstung bekleideten Mannes mit einer nackten Frau. Während der von einem anderen Krieger begleitete Soldat offensichtlich im Begriff ist, sich seiner Kleidung und Waffen zu entledigen, wird die Frau von ihren Dienerinnen umsorgt. Der Stifter Georg Ernst Harzen sah hier den der Schlacht entronnenen Paris, der von Helena empfangen wird. Alternativ wurden später auch die Begegnung von Alexander und Roxane (u. a. von Weigel, Popham) bzw. zwischen Mars und Venus (Stubbe, Gnann) vorgeschlagen. Für beide Männer könnte die Deutung zutreffen, da sie herausragende Soldaten waren. Während die Ikonographie von Roxane nicht eindeutig ist, könnte der vor allem auf der Hamburger Zeichnung deutlich ins Bild gerückte Spiegel stärker auf Venus hindeuten. Zudem fehlt auf dem Hamburger Blatt die Übergabe einer Krone, wie sie sowohl Sodoma als auch Rosso Fiorentino auf ihren Interpretationen der Hochzeit von Alexander und Roxane dargestellt haben. Dennoch wird hier die Szene als „Begegnung zwischen Alexander und Roxane“ gedeutet. Hierfür spricht als entscheidendes Argument die Beobachtung Anka Ziefers, dass sich Mars offensichtlich auf keiner Darstellung des 16. Jahrhunderts Venus in Begleitung von Soldaten nähert.(Anm.8)
Nahezu unbeachtet blieb bislang die kleine Studie zweier Jünglingsköpfe auf dem Verso..(Anm.9) Es handelt sich um eine bei Popham als verloren aufgeführte Zeichnung des Künstlers, die bislang nur durch das Faksimile im Gegensinn von Conrad Martin Metz nachweisbar war.(Anm.10)

David Klemm

1 Vgl. De Giorgione à Tiepolo. Dessins italiens du 15e au 18e siècle dans les collections privées et publiques de Belgique, Ausst.-Kat. Musée Communal d’Ixelles, o. O. 1993, S. 44–45, NR. 11.
2 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. REC 68. Aufgrund der Arundel-Provenienz dürfte dieses Blatt die Vorlage für Vorstermans Faksimile gegeben haben.
3 Vgl. auch die Reproduktionsgraphik von Lucas Vorsterman II, in: Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, hrsg. v. D. De Hoop Scheffer, Bd. XLIII: Lucas Vorsterman I, bearb. v. Christian Schuckmann, Roosendaal 1993, S. 102, Nr. 30; vgl. Achim Gnann: Parmigianino. Die Zeichnungen, 2 Bde., Studien zur internationalen Architektur und Kunstgeschichte, Bd. 58, Petersberg 2007, I, S. 489, Nr. 858.
4 Conrad M. Metz: Imitations of Ancient and Modern Drawings from the Restoration of the Arts in Italy to the Present Time (...), London 1798; vgl. Rudolph Weigel: Die Werke der Maler in ihren Handzeichnungen. Beschreibendes Verzeichniss der in Kupfer gestochenen, lithographirten und photographirten Facsimiles von Originalzeichnungen grosser Meister, Leipzig 1865, S. 478, Nr. 5688.
5 Vgl. z. B. Sodomas Darstellung der „Hochzeit von Alexander und Roxane“ in der Farnesina oder Caraglios Kupferstich „Alexander und Roxane“, The Illustrated Bartsch 28 (15), 62 (95).
6 Achim Gnann: Parmigianino. Die Zeichnungen, 2 Bde., Studien zur internationalen Architektur und Kunstgeschichte, Bd. 58, Petersberg 2007, I, S. 489, Nr. 857.
7 Paris, École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 226; vgl. Emmanuelle Brugerolles: Les dessins de la collection Armand-Valton. La donation d’un grand collectionneur du XIXe siècle à l’École des Beaux-Arts, Paris 1984, S. 87, Nr. 76.
8 Frdl. Mitteilung von Anka Ziefer, Pisa, die in ihrer Doktorarbeit die Darstellung von Mars und Venus im 16. Jahrhundert untersucht.
9 Vgl. Arthur Ewart Popham: Catalogue of the Drawings of Parmigianino. Volume I. Introduction and Catalogue, New Haven, London 1971, S. 259, OR 112; vgl. Achim Gnann: Parmigianino. Die Zeichnungen, 2 Bde., Studien zur internationalen Architektur und Kunstgeschichte, Bd. 58, Petersberg 2007, I, S. 489, Nr. 857.
10 Conrad M. Metz: Imitations of Ancient and Modern Drawings from the Restoration of the Arts in Italy to the Present Time (...), London 1798; vgl. Rudolph Weigel: Die Werke der Maler in ihren Handzeichnungen. Beschreibendes Verzeichniss der in Kupfer gestochenen, lithographirten und photographirten Facsimiles von Originalzeichnungen grosser Meister, Leipzig 1865, S. 489, Nr. 5833.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, braun und rot laviert 139mm x 118mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21266 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford + Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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