Anonym, Oberitalien (?), Um 1500

Studien nach Kunstwerken der Antike und der Frührenaissance, um 1500

Das 1863 in die Sammlung gelangte Blatt stellt in seiner Wiedergabe von einundzwanzig verschiedenen Kunstwerken bzw. Studien eine große Besonderheit dar. Obgleich kein vergleichbares Blatt aus der Zeit der Renaissance bislang publiziert worden ist, fand es auffallend geringes Interesse. Einzig Gustav Pauli hat sich 1927 näher mit Herleitung und Art der Zusammenstellung der Objekte befasst.
Die Zeichnung galt lange Zeit als Werk Maso Finiguerras. Diese Zuschreibung ist bis hin zu den englischen Sammlern Ottley und Roscoe zurückzuverfolgen und wurde auch noch von Georg Ernst Harzen übernommen. Nachdem Koopmann 1891 noch dieser Attribution folgte, hat Gustav Pauli 1927 das Blatt wohl als erster einem anonymen Florentiner Künstler des frühen 16. Jahrhunderts zugewiesen. Hind wie auch Pouncey brachten die Zeichnung aufgrund stilistischer Beobachtungen in die Nähe eines nicht näher bestimmbaren Künstlers, von dem die Kunsthalle zwei ebenfalls mehr oder weniger reproduzierende Zeichnungen besitzt (vgl. Inv.-Nrn. 21451 und 21485). Dieser wurde ehemals mit dem Monogrammisten PP in enge Verbindung gebracht, kann aber nach jetziger Einschätzung lediglich als Nachahmer bzw. Kopist desselben angesehen werden. Tatsächlich gibt es Übereinstimmungen in der leicht gedrungen wirkenden Gestaltung der Figuren und in der Schraffierung. Allerdings ist der Einsatz von Schraffuren im Vergleich zu den beiden angesprochenen Zeichnungen insgesamt zurückhaltender. Eine exakt entsprechende Handschrift scheint hier demnach nicht vorzuliegen. Ihre Herkunft ist schwer zu bestimmen, auch lässt sich der von Pauli angenommene Florentiner Kunstkreis stilistisch nicht zwingend begründen. Denkbar wäre vielmehr, dass ein Wanderkünstler – möglicherweise aus dem oberitalienischen Raum (Ferrara oder Padua) vornehmlich in Florenz eine Art Erinnerungsblatt seiner Eindrücke gezeichnet hat. Auch Hugo Chapman hält eine Herkunft des Zeichners aus dem östlichen Oberitalien für möglich.(Anm.1)
Wie weiter unten nachgewiesen, lassen sich bislang fünf der dargestellten Szenen bzw. Figuren mit konkreten Werken verbinden. Dass auch die anderen Objekte Reproduktionen darstellen, ist relativ wahrscheinlich, aber nicht definitiv sicher. Die Herkunft der eindeutig bestimmbaren Objekte lässt sich generell mit Ober- bzw. Mittelitalien angeben. So sind zwei Elfenbeintafeln in Florentiner Besitz nachweisbar, während die Plaketten ebenso gut in Padua oder anderswo gesammelt worden sein können. Die Anlage des Studienblattes legt die Vermutung nahe, dass der Künstler all diese Objekte an einem Ort aufgenommen hat. Dabei nutzte er gleichsam in einer Art horror vacui den zur Verfügung stehenden Raum in größter Intensität aus. Auf diese Weise kommt es zu leichten Überschneidungen. Bei den identifizierten Werken handelt es sich ausnahmslos um plastische Werke bzw. Objekte angewandter Kunst. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Zeichner kein Maler war oder sich auf jeden Fall stärker für plastische Werke interessierte. Die einzelnen Zeichnungen geben die nachweisbaren Objekte in der Komposition relativ genau wieder. Doch ist der Zeichner alles andere als ein genauer Kopist. Vielmehr verändert er wiederholt die Proportionen der Figuren und der Architekturen, wodurch die Gestalt der originalen Kunstwerke leicht verzerrt wiedergegeben wird. Alle bislang identifizierten Werke sind vor 1500 entstanden, womit ein Anhalt für die Datierung des Blattes gegeben ist. Dass sich der Künstler keineswegs nur für zeitgenössische Arbeiten interessierte, ist daran erkennbar, dass er auch antike Elfenbeintafeln kopierte.

David Klemm

1 Mdl. Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 18. 1. 2008.

Im Folgenden werden die einzelnen Szenen von links oben nach rechts unten in der von Gustav Pauli 1927 gewählten Anordnung aufgeführt:

1. Das Urteil Salomons.
2. Eine männliche Figur (Diakon ?) im Brustbild (rechts vom hoch thronenden Salomo).
3. Ein Renaissance-Altar mit drei Heiligendarstellungen: links Johannes der Täufer, in der Mitte die Heilige Katharina von Siena (?) und rechts ein Bischof. Den Altar krönt ein durch Voluten gestützter Tabernakel, dessen seitliche Felder die Verkündigung darstellen (links der Engel und rechts Maria).
4. Äskulap mit dem kleinen Telesphorus; daneben Hygieia mit einem kleinen Genius. Es handelt sich um die beiden spätantiken Elfenbeinarbeiten, ca. 400–430 n. Chr., die im frühen 16. Jahrhundert in der Sammlung der Familie Gaddi, Florenz, nachweisbar sind. Vgl. Antonius Franciscus Gorius, Thesaurus veterum diptychorum. Bd. III. suppl. Florenz 1759, S. 62 u Tf. XX u. XXI; jetzt im Liverpool Museum; vgl. Elsner 2000, S. 32.
5. Madonna mit dem Kinde, wohl nach der im späten 15. Jahrhundert in der Paduanischen Schule entstandenen Plakette, die früher Donatello zugeschrieben worden ist.
6. Tobias mit dem Engel. Ähnlich einem Gemälde in der Art des Raffaelino del Garbo, das für den Engel die Gestalt der Judith von Botticelli (Florenz, Uffizien) verwertet hat.
7. Zwei auf Stühlen einander gegenüber sitzende männliche Gestalten.
8. Martyrium des Hl. Sebastian nach der Plakette Donatellos, von der das Musée Jacquemart-André in Paris einen Abguss bewahrt (Inv.-Nr. 764; vgl. Moureyre-Gavoty 1975, Nr. 23, mit Abb.).
9. Eine sitzende Madonna mit dem Christuskind.
10. Ein Frauenkopf (von anderer Hand ?).
11. Eine stehende Figur, nach Pauli eine Frau, wahrscheinlicher handelt es sich um eine Darstellung des segnenden Christus.
12. Abendmahl.
13. Christus in Gethsemane (oben rechts betend, unten die Jünger weckend).
14. Eine männliche Aktstudie (neben dem liegenden Jünger von Nr. 13).
15. Ein Heiliger beschenkt Arme und Kranke; im Hintergrund eine Hochrenaissance-Architektur. Diese wie die beiden folgenden Darstellungen sind vermutlich nach Plaketten entstanden. Große Ähnlichkeit weist ein Kupferstich der „Feinen Manier“ auf (vgl. Hind 1938, I, Bd.1, S. 47, Nr. A I.54, I, Bd. 2, Taf. 52), allerdings ist dieser seitenverkehrt und in einigen Details unterschiedlich. Dieser Kupferstich soll in Florenz um 1460/80 entstanden sein. Interessanterweise lässt sich die Darstellung auch noch auf einem 1458 datierten Altar des Paolo de Caylina (Paolo da Brescia) in der Galleria Sabauda (Inv.-Nr. 141) nachweisen (vgl. Hind 1938, I, Bd. 1, S. 47). Da es ausgeschlossen erscheint, dass der Zeichner des Hamburger Blattes diese relativ kleinformatige Malerei, die sich ehemals in einem abgelegenen Kloster befand, kopiert hat, muss für den Kupferstich wie auch für die Altarmalerei ein gemeinsames Vorbild angenommen werden. Dabei könnte es sich entweder um eine Plakette oder um ein Niello handeln. Die Deutung der Szene schwankt. So wird sie in Turin in Bezug zum Altarheiligen Hl. Albinus gesetzt, wohingegen Hind den Kupferstich auf den Hl. Laurentius bezieht. Denkbar ist, dass derartig allgemeine Szenen, wie z. B. Wohltaten, mühelos für verschiedene Heilige adaptiert wurden. Die repräsentative Architektur und die betonte Perspektivkonstruktion könnten auf eine Florentiner Herkunft der Komposition hindeuten.
16. Martyrium des Heiligen Laurentius im Beisein des Kaisers Valerian, der auf dem Dach eines Hauses im Hintergrund sichtbar wird.
17. Ein Heiliger vor einem Herrscher; im Hintergrund mittelalterliche Stadtarchitektur. Die Szene lässt sich wie Darstellung Nr. 15 mit einem Kupferstich der Feinen Manier (Hind A.I.54) wie auch mit dem Altarbild des Paolo da Brescia verbinden. Eine Deutung der Szene als „Der Heilige Laurentius vor dem Herrscher Decius“ ist wahrscheinlich, aber nicht zwingend nachweisbar.
18. Der Heilige Laurentius tauft einen Jüngling. Florenz, frühes 15. Jahrhundert; nach einer ovalen Plakette, von der sich ein Abguss in Berlin befand (vgl. die Abb. bei Bange, 1922, II, Taf. 31, Nr. 289; vgl. auch Molinier 1886, I, Nr. 670. Abb.).
19. Enthauptung eines knienden, nach links gewandten Mannes.
20. Enthauptung eines knienden, nach rechts gewandten Mannes.
21. Zelt mit einigen Figuren davor

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz. z. T. mit brauner Feder überzeichnet; aufgezogen, mit Rahmung versehen 314mm x 191mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21205 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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