Il Cigoli, eigentlich Lodovico Cardi

Petrus heilt einen Lahmen, um 1606

Kurz nach 1600 wurde in St. Peter in Rom ein umfangreiches Ausstattungsprogramm initiiert, das vor allem dazu diente, die Präsenz des Hauptheiligen in der ihm geweihten Kirche zu verbessern.(Anm.1) Zuvor gab es nur relativ wenige Verehrungsstätten und das Apostelgrab war, von wenigen Ausnahmen im Jahr abgesehen, für Frauen nicht zugänglich. Im Auftrage von Papst Clemens VIII. entstanden nun binnen weniger Jahre nicht weniger als sechs großformatige Altäre, die allesamt prominente Szenen aus dem Leben des Heiligen vorführten. Ihre Anbringung an den Außenseiten von dreien der vier Vierungspfeiler konnte kaum prominenter sein. Die begehrten Aufträge erhielten Giovanni Baglione, Francesco Vanni, Bernardo Castello, Domenico Passignano, Cristoforo Roncalli und Ludovico Cigoli, wobei es in manchen Fällen offensichtlich nicht ohne Querelen abgegangen ist.(Anm.2)
Die vorliegende Zeichnung zeigt einen weit fortgeschrittenen Teilentwurf für das durch den Großherzog Ferdinando I. von Toskana seinem Landsmann Cigoli vermittelte Gemälde „Die Heilung des Lahmen“. Cigoli begann 1604 in Rom mit ersten Studien für diese in der Apostelgeschichte überlieferte Wunderheilung. Ein früher Entwurf in den Uffizien zeigt bereits die entscheidende Szene der Berührung des Kranken durch den Hl. Petrus.(Anm.3) Dieser hat sich allerdings entgegen der späteren Ausführung noch nicht dem Kranken zugeneigt. Cigoli war nach ersten Planungen zunächst nach Florenz zurückgekehrt, um dann von Ende 1605 an, das Gemälde mit zahlreichen Zeichnungen vorzubereiten.(Anm.4) In dieser mit der Vollendung des Werkes 1607 abgeschlossenen Planungsphase dürfte die Hamburger Zeichnung entstanden sein.
Sie weist vor allem hinsichtlich der im unteren Bereich dargestellten Figuren große Übereinstimmung mit einer Studie in den Uffizien auf.(Anm.5) Während das Hamburger Blatt mit der Feder ausgeführt ist, erzielt Cigoli auf dem Florentiner Blatt durch starke Lavierung einen malerischeren Effekt. Unterschiedlich ist zudem, dass die Uffizien-Zeichnung auch den oberen Teil der Komposition mit architektonischen Elementen eines Kirchenraums zeigt. Cigoli hat demnach verschiedene zeichnerische Modi auf dem Weg zur endgültigen Formulierung einer Kompositionsidee benutzt. Für die Funktion einer definitiven Vorzeichnung des Hamburger Blattes spricht auch, dass es quadriert worden ist.
Ein direkter Vergleich mit Cigolis – übrigens aufgrund der damals in St. Peter herrschenden starken Feuchtigkeit auf Schiefer gemaltem – Gemälde ist nicht mehr möglich, da es um 1767 durch eine Mosaikkomposition gleichen Themas von der Hand Francesco Mancinis ersetzt worden ist.(Anm.6) Ein offensichtlich getreuer, 1697 von Nicolas Dorigny angefertigter Stich des Gemäldes macht aber aufgrund der weitgehenden kompositionellen Übereinstimmungen deutlich, dass es sich bei der Hamburger Zeichnung definitiv um einen endgültigen Entwurf des Gemäldes handeln muss.
Die Komposition genoss große Popularität. Andrea Boscoli hat das Gemälde Cigolis in einer Zeichnung auf seiner Reise in die Marken kopiert. Neben dem bereits erwähnten Nicolas Dorigny fertigte auch Jacques Callot einen Reproduktionsstich an; Jan de Bisshop veröffentlichte die Figur des Lahmen 1671 in seiner Folge „Paradigmata Graphices variorum Artificum“.
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die Hamburger Zeichnung seit jeher mit Cigolis Werk in St. Peter verbunden gewesen ist.(Anm.7)

David Klemm

1 Herbert Siebenhüner: Umrisse zur Geschichte der Ausstattung von St. Peter in Rom von Paul III. bis Paul V. (1547-1606), in: Festschrift für Hans Sedlmayr, hrsg. v. Karl Oettinger, Mohammed Rassem, München 1962, S. 229-320, vor allem S. 293–300.
2 Ebd.
3 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 1006 F.
4 Die Aufzählung der verschiedenen Entwürfe findet sich u. a. bei Christel Thiem: Florentiner Zeichner des Frühbarock. Italienische Forschungen herausgegeben vom Kunsthistorischen Institut in Florenz. Dritte Folge. Bd. 10, München 1977, S. 294.
5 Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 1016 F; Christel Thiem: Florentiner Zeichner des Frühbarock. Italienische Forschungen herausgegeben vom Kunsthistorischen Institut in Florenz. Dritte Folge. Bd. 10, München 1977, S. 295, Abb. 249.
6 Christel Thiem: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Bestandskatalog der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1977, S. 294.
7 Aukt.-Kat. London, Rogers 1799, S. 17, Nr. 159: „sketch for the picture in St. Peter’s in the Vatican; painted in 1606 and engraved by Dorigny.“
Herbert Siebenhüner: Umrisse zur Geschichte der Ausstattung von St. Peter in Rom von Paul III. bis Paul V. (1547–1606), in: Festschrift für Hans Sedlmayr, hrsg. v. Karl Oettinger, Mohammed Rassem, München 1962, S. 229–320.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über Rötel und Kreide, quadriert (mit Graphit); aufgezogen 258mm x 285mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21149 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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