Francesco Barbieri, gen. Guercino

Triton und Nereide, 1630er Jahre

Das Blatt wurde von Antonio Morassi bei einem Besuch des Kabinetts in den 1920er Jahren als eigenhändige Arbeit Guercinos bestimmt.(Anm.1) Diese Einschätzung erhielt im Oktober 2005 durch Nicholas Turner eine nachdrückliche Bestätigung.(Anm.2) Meisterhaft ist der Fischmensch in seiner glitschigen, unheimlichen Erscheinung wiedergegeben. Vor allem die Lavierung ist höchst differenziert eingesetzt. Für Nicholas Turner lässt sich der Zeichenstil gut mit Arbeiten der 1630er Jahre verbinden.
Für die Identifikation der männlichen Gestalt als Triton spricht neben dem Dreizack, der aber ebenso gut Attribut Neptuns sein könnte, die nur sehr dünn gezeichnete Schuppenstruktur des rechten Beines im Bildvordergrund. Die zweite Figur, etwas im Hintergrund, ähnelt mit dem über dem Ohr gekräuselten Haar einem bei Guercino häufig vorkommenden Frauentypus. Zugleich weist sie mit dem kräftigen, sehr geraden Nasenrücken und dem muskulösen Oberarm aber auch männliche Züge auf.
Guercino hat sich relativ selten mit Meereswesen befasst.(Anm.3) Das Gemälde der „Galatea“ in der Salzburger Residenzgalerie oder „Neptun“-Darstellungen in den Freskodekorationen der Casa Provenzale in Cento sowie in Privatbesitz zeigen einschließlich der Vorzeichnungen (Anm.4) eine deutlich ernsthaftere Auffassung des Themas. So wirkt der Hamburger Triton mit seinen hervorquellenden Augen und dem dünnen Haar neben diesen fast wie eine Karikatur, zumindest wie eine humorvoll-ironische Übertreibung.
Offensichtlich hat Guercino die Komposition ohne Bezug zu einem Gemälde oder Fresko entworfen. Dies legt die Vermutung nahe, dass er die Zeichnung per se zum eigenen oder zum Vergnügen seiner Freunde angefertigt hat. Hinsichtlich der fast grotesken Kopfform mit den hervorquellenden Augen erinnert der Triton an die Studie eines offensichtlich kranken Mannes in Windsor.(Anm.5) Dort ist allerdings die Feder nur zur Charakterisierung des Kopfes eingesetzt, wohingegen die Körperkontur mit dem Pinsel getuscht ist. Auch die ebenfalls in Windsor bewahrte, affenähnliche Hexe mit einer Kerze in der Hand weist in der Zeichentechnik und dem Hang zum Karikaturhaften Ähnlichkeit mit dem Hamburger Blatt auf.(Anm.6)
Die Herkunft der Zeichnung ist unklar. Aufgrund der kreisförmigen farblichen Veränderungen an den vier Ecken könnte sie aus dem ehemaligen Besitz der Familie Gennari stammen. Diese hat viele ihrer Guercino-Zeichnungen auf diese Weise in prunkvolle Alben eingeklebt. Der dadurch gewährleistete Schutz führte zu einem insgesamt guten Erhaltungszustand, der auch für das Hamburger Blatt festzustellen ist.
Im 17. Jahrhundert fertigte Livio Mehus eine relativ genaue Kopie nach der Hamburger Zeichnung an, wobei es sich um eine besonders frühe Guercino-Rezeption handelt.(Anm.7)

David Klemm

1 Notiz im Archiv des Kupferstichkabinetts.
2 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
3 Für Hinweise zur Ikonographie ist Melissa Strumann, Hamburg, zu danken.
4 Braunschweig Herzog Anton Ulrich-Museum, Inv.-Nr. 097; Dresden, Staatliche Kunstsammlungen Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 465.
5 Windsor Castle, Royal Library, Inv.-Nr. 2663; Denis Mahon, Nicholas Turner: The Drawings of Guercino in the Collection of Her Majesty The Queen at Windsor Castle, Cambridge 1989, S. 120, Nr. 337.
6 Windsor Castle, Royal Library, Inv.-Nr. 2658; Denis Mahon, Nicholas Turner: The Drawings of Guercino in the Collection of Her Majesty The Queen at Windsor Castle, Cambridge 1989, S. 120, Nr. 338.
7 Aukt.-Kat. New York, Sotheby’s, Old Master Drawings 8.1.1991, S. 140, Nr. 200, Abb. S. 139.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, braun laviert; Spuren von horizontalen Linien (Graphit); Reste einer Einfassungslinie (Graphit); aufgezogen 270mm x 196mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21064 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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