Peter Paul Rubens, (?), Zeichner

Christus am Kreuz, um 1615

Inventarisiert als „Baccio Bandinelli“, später in der Kunsthalle den anonymen Italienern zugeordnet, wurde das Blatt erstmals von Matthias Winner 1967 mit Rubens in Verbindung gebracht. Winner datierte die Zeichnung um 1615, im Anschluss an das Berliner „Bad der Bathseba“ oder „Venus und Amor“ in Williamstown.(Anm.1) Jaffé äußerte Zweifel an dieser Zuschreibung mit Blick auf die sich im wesentlichen auf den Torso konzentrierende Modellierung; Partien wie die Draperie in ihrer nur angedeuteten Plastizität verrieten eine andere Auffassung als die Berliner „Bathseba“. Auch die schweren dunklen Akzente und das flächig schraffierte Gesicht wirken im ersten Eindruck ungewöhnlich für Rubens’ eigene Hand, wie von Teilnehmern des Hamburger Symposiums (2008) festgestellt wurde.(Anm.2) Belkin (2009) katalogisierte das Blatt unter den abzuschreibenden Zeichnungen.
Einen trotzdem engen Zusammenhang mit Rubens belegt der bereits von Winner vermutete Bezug zu einer plastischen Vorlage aus dem Veit-Stoss-Kreis. Rasmussen (1976) konnte den hier dargestellten Kruzifix auf einem Gemälde des Rubens identifizieren, der 1616 datierten „Stigmatisierung des Hl. Franziskus“.(Anm.3) Offensichtlich handelt es sich bei dem „Modell“ der Zeichnung um eine Rubens bekannte Kleinplastik, denn sie ist ebenfalls dargestellt auf einem weiteren „Hl. Franziskus“ und dem um 1615 angesetzten „Tod des Hl. Anthonius“ in Pommersfelden.(Anm.4) Kleine geschnitzte Kruzifixe des Veit Stoß sind heute nicht mehr erhalten, werden aber in alten Quellen erwähnt.(Anm.5) In diesem Fall wäre die stark untersichtige Perspektive nicht, wie von Winner 1967 vorgeschlagen, auf eine vermutlich ,in situ‘ aufgenommene Großplastik zurückzuführen, sondern als dramatisierende Maßnahme des Künstlers zu verstehen. Auch der von Rubens nach einer Kleinplastik von Conrad Meit gezeichnete „Stehende Frauenakt“ in Berlin wurde aus starker Untersicht wiedergegeben.(Anm.6) Mit dieser Zeichnung verbinden zudem die Technik und das auffallend große Format, aber auch zeichnerische Besonderheiten wie die großen, oval geschnittenen Augenlider unter fein geschwungenen Brauen und die dunklen, fleckig aufgetragenen Schatten. Diese Zusammenhänge setzen das Hamburger Blatt zumindest in den engeren Umkreis des Rubens, so dass an Winners Zuschreibung unter Vorbehalt festgehalten werden soll.
Sicher auszuschließen ist die von Jaffé alternativ vorgeschlagene Deutung als Jugendwerk des Anton van Dyck.(Anm.7) Auf dem Hamburger Blatt wirken die teils zu Schlaufen zusammengefassten, teils mit häkchenartigem Ansatz peitschend aufgetragenen Schraffurlinien flüssiger als auf entsprechenden Arbeiten Van Dycks.

Annemarie Stefes

1 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 5397, Hans Mielke, Matthias Winner: Peter Paul Rubens. Kritischer Katalog der Zeichnungen. Originale - Umkreis - Kopien, Die Zeichnungen alter Meister im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1977, Nr. 18; Williamstown, Sterling and Francine Clark Art Institute, Inv.-Nr. 991, ebd. Nr. 74.
2 Egbert Haverkamp Begemann und Michiel Plomp auf dem Symposium „Niederländische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ am 21. und 22. 2. 2008 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
3 Köln, Wallraf Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.-Nr. 1043, Hans Vlieghe: Saints I, Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, Bd. 8, Brüssel 1972, Nr. 90.
4 Arras, Musée des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 945.121, Hans Vlieghe: Saints I, Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, Bd. 8, Brüssel 1972, Nr. 91 (um 1615/20); Pommersfelden, Schloss Weissenstein, Gräflich Schönbornsche Sammlung, ebd. Nr. 64.
5 1547 beschrieb Johann Neudörfer ein etwa eine Spanne großes „ausgespanntes Göttlein oder Crucifix“ des Künstlers, bei dem es sich vielleicht sogar um das von Rubens dargestellte Bildwerk, mindestens aber eine verwandte Kleinskulptur handelt, vgl. Jörg Rasmussen: Zum kleinplastischen Werk des Veit Stoß, in: Pantheon 34, 1976, S. 108-114.
6 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 14713 (320 x 190 mm), Hans Mielke, Matthias Winner: Peter Paul Rubens. Kritischer Katalog der Zeichnungen. Originale - Umkreis - Kopien, Die Zeichnungen alter Meister im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1977, Nr. 3.
7 Mit Verweis auf Blätter des Antwerpener Skizzenbuches, etwa fol. 24 v, fol. 25 r, fol. 59 v, fol. 60 r, fol. 48 v oder fol. 49 r, nach Michael Jaffé, Van Dyck's Antwerp Sketchbook, London 1966 um 1615/20. Vgl. auch zwei „Teilstudien eines männlichen Torsos“, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. MB 5022 verso, A. W. F. M. Meij, Maartje de Haan: Rubens Jordaens Van Dyck and their Circle. Flemish Master Drawings from the Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam 2001, Nr. 58 bzw. New York, The Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. I, 245 a verso, ebd. S. 216, Abb. 2.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, teilweise verwischt; Einfassungslinien (Feder in Schwarz) 279mm x 195mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21051 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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