Anonym, 2. Drittel 16. Jahrhundert (italienisch)

Stürzende und enteilende nackte Krieger

Das beidseitig bezeichnete Blatt gelangte als Werk Baccio Bandinellis in das Kupferstichkabinett, wohl vor allem weil sein Name zweimal vermerkt ist. Diese Einschätzung wurde bislang beibehalten. An diesen Künstler und dessen charakteristische Schraffentechnik erinnert jedoch allenfalls die Studie eines männlichen Oberkörpers auf dem Verso; deren Qualität ist jedoch zu schwach, um eine Zuschreibung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Gleichwohl dürfte die Einordnung des Blattes in die erste Hälfte oder das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts – also in die Wirkungszeit Bandinellis – zutreffen. Vor allem die das Blatt beherrschenden Kriegerfiguren erinnern an die späten Kompositionen Raffaels bzw. seiner Schule. Unverkennbar ist der Einfluss der großen Schlachtendarstellung in der Sala di Costantino in den Stanzen im Vatikan.(Anm.1) Vor diesem Hintergrund ist das Blatt ein typisches Beispiel der umfassenden, anverwandelnden Raffael-Rezeption des 16. Jahrhunderts.(Anm.2) Dabei ist nicht eindeutig zu bestimmen, ob es sich bei den Soldaten um Krieger in Abwehrhaltung oder um vom göttlichen Licht geblendete Wächter bei der Auferstehung Christi handelt.(Anm.3)
Neben den großformatigen Soldaten befinden sich auf dem Blatt zahlreiche kleinere Detailstudien von Kämpfern (Recto) oder Körperteilen von Menschen und Tieren (Verso). Sie unterstreichen in ihrer offensichtlich willkürlichen Anordnung den Studiencharakter des Blattes. Die relativ geringe Qualität dieser kleinen Studien lässt den Schluss zu, dass es sich bei dem anonymen Künstler um einen wenig begabten Zeichner handelt.

David Klemm

1 Hinsichtlich der akzentuierenden Lavierung besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu der Giovanni Francesco Penni zugeschriebenen Studie des Freskos. Vgl. Raphaels Zeichnungen Abteilung IX. Entwürfe zu Werken Raphaels und seiner Schule im Vatikan 1511/12 bis 1520, bearb. v. Konrad Oberhuber. Raphaels Zeichnungen, begründet v. Oscar Fischel, Berlin 1972, Taf. 82, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 3872.
2 Die liegende Figur im Vordergrund erinnert in der Haltung (ohne Schild) an den linken nackten Mann in der Amico Aspertini zugeschriebenen „Allegorie der Vertreibung aus dem Paradies und des Opfers Abels“. Vgl. Humanismus in Bologna 1490-1510, hrsg. v. Marzia Failetti, Konrad Oberhuber, Ausst.-Kat. Wien, Graphische Sammlung Albertina, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Ausstellung der Graphischen Sammlung Albertina Wien, Bd. 327, Bologna 1988, S. 277–278, mit Abb. Dieser Stich dürfte ebenfalls auf den Einfluss Raffaels zurückgehen.
3 Vgl. z. B. Giulio Bonasones „Auferstehung“, The Illustrated Bartsch 28 (15), 45 (121) mit einigen Kriegern, die mit erhobenen Schilden daliegen.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, braun laviert, auf hellgrauem Papier 191mm x 245mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 21050 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback