Paul-Prosper Allais, Radierer
nach Charles-Marcel Pignerolle, Maler
Alfred Chardon (Chardon jeune), Drucker
BULLA frères JOUY Editeurs, Verleger

Raffael malt das Porträt der Johanna von Aragon, veröffentlicht 1858 (gedruckt 1856)

Das von Charles-Marcel Pignerolle, einem Schüler Louis Cogniets und bekannten Spezialisten italienischer Historienszenen ausgeführte Gemälde, das die unmittelbare Vorlage für die Radierung von Paul-Prosper Allais bildete, war 1859 auf dem Pariser Salon ausgestellt und gilt heute als verschollen. (Anm. 1)
Pignerolle bzw. Allais zeigen mittig in der Komposition einen jugendlichen Raffael, der in einem prunkvoll gestalteten Saal eines Renaissancepalastes vor einer Staffelei steht. Ihm gegenüber sitzt auf einem baldachingekrönten Thron eine junge Frau, die von einem Hofstaat junger Damen umgeben ist, die sich in dem großen Raum zu Gruppen verteilen. An der Tür im Hintergrund ist eine Reihe junger Männer zu sehen, die die Szene gespannt betrachten. Auf der Staffelei vor Raffael, der Pinsel und Palette bereit zur Arbeit in den Händen hält, erkennt man das traditionell als Bildnis der Johanna von Aragon bezeichnete Gemälde, das sich – aus der Sammlung Franz I. in Fontainebleau stammend – seit 1792 im Besitz des Pariser Musée du Louvre befindet und aktuell in der Dependance des Museums in Lens zu sehen ist. (Anm. 2) Inzwischen ist klar, dass weder Pignerolle, noch Allais wussten, dass die Dargestellte nicht Johanna von Aragon ist, sondern Doña Isabel de Requesens y Enríquez de Cardona-Anglesola, Ehefrau des Vizekönigs von Neapel, Ramón Folch II de Cardona-Anglesola. Das auf der Staffelei zu sehende Bildnis war 1518 im Auftrag Leos X. durch Kardinal Bibbiena bei Raffael bestellt worden und war ein Geschenk an den französischen König Franz I., der sich eine gemalte Galerie schöner Frauen anlegte. Die Autorschaft wird von einigen Forschern, wie Jürg Meyer zur Capellen, Raffael und Giulio Romano gemeinsam gegeben (Anm.3), andere, wie Tom Henry und Paul Joannides, schreiben das Bild allein Giulio Romano zu. (Anm. 4)
Die von Allais wiedergegebene Szene der vermeintlichen Portraitsitzung der Johanna von Aragon, wie explizit im Titel der Radierung herausgestellt, zeigt einen jugendlichen Raffael mit ungewöhnlich langen Haaren, die beinahe denen der zu Portraitierenden entsprechen, die übrigens das Kleid trägt, dass auf dem Bildnis im Louvre zu sehen ist. Zum Zeitpunkt des vermeintlichen Ereignisses war Raffael jedoch bereits 35 Jahre alt. Pignerolle glich das Aussehen des Künstlers an das jugendliche Modell der angeblichen Johanna von Aragon, geboren im Jahr 1500, an, und bedient so bewusst die Vorstellung vom stets jugendlichen Künstlergenius Raffael. Die erwähnten Hofdamen tragen keine genau recherchierte Renaissancekleidung, sondern ihre eleganten Kleider erinnern eher an zeitgenössische Mode, wie man sie auf den Gemälden eines Franz-Xaver Winterhalter bzw. in den Pariser Salons der 1850er Jahre findet. Der technisch höchst versierte Radierer Allais, der immer wieder auch zur weicheren und atmosphärischen Wiedergabe der Stofflichkeiten auf seinen großformatigen Reproduktionsgraphiken nach Gemälden von zeitgenössischen Historienmalern die Technik der Aquatinta hinzuzog, radierte auch die von der Pariser Malerin Aimée Brune-Pagès 1845 im Salon präsentierte Szene „Raffael wird Leonardo da Vinci vorgestellt, der ihm sein Bildnis der „Mona Lisa““ präsentiert und 1865 „Das Atelier des Raffael Sanzio“ nach Nicaise de Kayser. (Anm. 5)
Andreas Stolzenburg

Ausst.-Kat. Paris 1983, S. 188, Nr. 245, Abb. 346 (Exemplar der Bibliothèque
National, Paris; Beitrag Jean-Pierre Cuzin)

1 Ausst.-Kat. Paris 1859, S. 301, Nr. 2447 (Raphaël faisant le portrait de la princesse d’Aragon).
2 Öl auf Holz (auf Leinwand übertragen), 120 x 95 cm, Paris, Musée du Louvre; Meyer zur Capellen 2008, S. 154–155, Nr. 79.
3 Ebd.
4 Ausst.-Kat. Madrid/Paris 2012, S. 275–278, Nr. 76.
5 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 172–173, Nr. 19 (Beitrag Karla Thormann).

Details zu diesem Werk

Radierung mit Aquatinta 645mm x 963mm (Bild) 773mm x 1054mm (Platte) 797mm x 1078mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 2021-4 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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