Gérard Edelinck, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Die Heilige Familie mit Elisabeth, dem Johannesknaben und Engeln / Die Heilige Familie von Franz I. / "La Sainte famille de Jesus Christ.", 1677

Um 1518 bemühte sich Papst Leo X. intensiv um ein besseres Verhältnis zum französischen Hof. Nach Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzung, Besetzung und Ausbeutung der italienischen Halbinsel war man um eine Beruhigung der Lage bemüht. Im Zuge dieser Aktivitäten wurde auch aktive Kunstpolitik betrieben und was lag näher, als dafür mit Raffael den damals anerkanntesten Maler zu engagieren. Binnen kurzer Zeit schuf dieser mit starker Unterstützung seiner Werkstatt zwei Gemälde, die 1518 als Geschenke nach Frankreich gelangten. Die Heilige Familie mit Elisabeth, dem Johannesknaben und Engeln war dabei explizit als Geschenk für die Königin Claude bestimmt, wurde später aber Die Heilige Familie von Franz I. genannt. (Anm. 1) Auftraggeber war Lorenzo de’Medici, der Herzog von Urbino, der als Gesandter am französischen Hof tätig war. Lange Zeit war diese Preziose in den Residenzen der französischen Könige, zunächst in Fontainebleau, dann in Versailles, der Öffentlichkeit nur begrenzt zugänglich. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass bis weit in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nur wenige graphische Reproduktionen nachweisbar sind. Einen Wendepunkt in dieser Entwicklung bedeutete das Auftreten von Gérard Edelinck. Dieser war nach einer Ausbildung in Antwerpen 1666 nach Paris gekommen, wo er maßgeblich zum Aufstieg Frankreichs zur führenden Nation im Kupferstich beitrug.

Edelincks seitenverkehrte Wiedergabe beeindruckt mit einer geschmeidigen Linienführung, mittels derer die Volumina der Figuren und ihrer Gewänder plastisch herausgestellt werden. (Anm. 2) Überzeugend wiedergegeben ist auch Raffaels auf starke Kontraste setzende Lichtführung. Bewundernswert sind sämtliche Details der komplexen Komposition mit großer Detailgenauigkeit erfasst.

Dieser Meisterstich entstand im Auftrag des Finanzministers Jean-Baptiste Colbert und war wohl als Geschenk für seinen Sohn Jacques Nicolas zu dessen theologischer Promotion an der Sorbonne gedacht. Später ließ Colbert das zunächst vorhandene Familienwappen entfernen, und so konnte die Reproduktion als Entrée zum 1677 erschienenen Tafelband der Tableaux du Cabinet du Roy dienen. Diese ambitionierte Publikation war vermutlich die erste Leistungsschau des Kunstbesitzes von Ludwig XIV. und sollte den Anspruch Frankreichs als große Kulturnation untermauern. Die erläuternden Texte stammen von André Félibien, einem renommierten Kunsttheoretiker jener Epoche. Neben Edelinck wurden weitere hervorragende Stecher engagiert.

Edelincks Kupferstich der Heiligen Familie von Franz I. gelangte vor allem im 18. und 19. Jahrhundert zu sehr hoher Wertschätzung. Der französische Graphikkenner Henri Delaborde hielt das Werk für den schönsten Stich nach einem Gemälde Raffaels. (Anm. 3) Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass vor Edelinck kein Stecher der Interpretation von Raffaels Malereien würdig gewesen sei. (Anm. 4) Der Druck war so begehrt, dass er häufig vervielfältigt wurde, was letztlich zu einer abnehmenden Qualität führen musste.

Wie Edelincks Renommee durch den Kupferstich stieg, so trug dieser auch zum weiteren Ruhm des Werkes bei. Im 18. Jahrhundert zählte es etwa mit Correggios Nacht in Dresden zu den bedeutendsten Gemälden überhaupt. Und diese Anerkennung führte sicherlich auch zu zahlreichen weiteren Reproduktionen, von denen aber wohl keine an Edelincks Kupferstich heranreichte. (Anm. 5)
David Klemm

LIT (Auswahl): Robert-Dumesnil VII (1844), S. 178, Nr. 4; Höper 2001, S. 322,
Nr. D 39.2 (mit älterer Lit.); Gramaccini/Meier 2013, S. 85–86 (Beitrag Hans Jakob Meier)

1 Zum Gemälde siehe Meyer zur Capellen 2005, S. 170–177, Nr. 62 (mit älterer Lit.).
2 Gramaccini/Meier 2009, S. 85.
3 „[…] et la plus belle gravure d’après un tableau de Raphael […] non seulement en France [...] mais à quelque époque et dans quelque pays que ce soit […]; zit. nach Höper 2001, S. 322.
4 „Raphael n’avait pas, avant Edelinck, trouvé pour ses peintures un interprète digne de lui.“; zit. nach Höper 2001, S. 322.
5 Vgl. die Aufzählung bei Meyer zur Capellen 2005, S. 176–177

Details zu diesem Werk

Kupferstich 395mm x 298mm (Bild) 440mm x 308mm (Platte) 532mm x 380mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 2021-33 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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