Giovanni Battista de Cavalieri (Cavalleris), Stecher
nach Raffael (Werkstatt), Maler

Die Schlacht an der Milvischen Brücke (Sieg Konstantins über Maxentius), um 1571 (?)

Nachdem Raffael seit 1508 drei kleinere päpstliche Räume (Stanzen) im Vatikan ausgestaltet hatte, übernahm er am Ende seines Lebens die Ausmalung der ungleich größeren Sala di Costantino. Namensgeber für diesen Raum ist der für die Durchsetzung des Christentums so entscheidende Kaiser Konstantin, aus dessen Vita vier Szenen an den Wänden dargestellt sind. (Anm. 1) Diese Bilder sind wie fingierte Teppiche zwischen Darstellungen von in Nischen thronenden Päpsten gespannt, die wiederum von weiblichen Allegorien und Putten umgeben sind. (Anm. 2) Als Raffael im April 1520 starb, hatte er das Dekorationssystem des Raumes in wichtigen Punkten konzipiert und für zwei der Wandbilder – die Adlocutio (Inv.-Nr. 2020-28-2) und die Schlacht an der Milvischen Brücke (Konstantinsschlacht) – Entwürfe geschaffen. (Anm. 3) Diese wurden dann 1520–1521 vornehmlich von seinem Schüler Giulio Romano und dessen Mitarbeitern ausgeführt. (Anm. 4) Die Schenkung Roms und die Taufe Konstantins wurden erst unter dem ab 1523 amtierenden Papst Clemens VII. gemalt (Inv.-Nr. 2020-28-3 und 2020-28-4).

Die Sala di Costantino diente für festliche Bankette, Zeremonien und offizielle Veranstaltungen als repräsentativer Versammlungsraum. (Anm. 5) In diesem Rahmen machte ein Programm, dass an herausragende Ereignisse des Christentums erinnerte, besonders Sinn. Das größte Wandbild zeigte die Schlacht an der nördlich von Rom gelegenen Milvischen Brücke, bei der im Jahr 312 n. Chr. Konstantin über seinen Rivalen Maxentius siegte und damit zum alleinigen Herrscher im römischen Westreich aufstieg. Da Konstantin sich fortan in vielfältiger Weise als Schutzherr des Christentums erwiesen hatte, kommt dieser Szene eine für das Selbstverständnis des Papstes überragende Bedeutung zu. Raffael war sicherlich vor allem an der gestalterischen Aufgabe interessiert: Wie nie zuvor konnte er hier seine Entwurfskunst für ein Schlachtenbild zeigen und damit in direkte Konkurrenz zu Leonardo da Vinci und Michelangelo treten – beide hatten um 1503/04 zwei große, weithin berühmte und Raffael wohl bekannte Schlachtenkartons zur Florentiner Geschichte entworfen. (Anm. 6) Auch wenn die spätere Ausführung durch seine Schüler sicherlich manche Feinheiten der Konzeption Raffaels abschwächte, geriet die eminent figurenreiche Schlacht an der Milvischen Brücke zu einem höchst beeindruckenden Werk. Es wurde zu einem Paradestück historischer Kampfszenen und sollte alle weiteren derartigen Darstellungen prägen.

Es ist unschwer vorstellbar, dass eine solchermaßen komplexe, gut dreizehn Meter breite Komposition für jeden Reproduktionsgraphiker eine besondere Herausforderung darstellte. Dies betraf auch den für eine adäquate Wiedergabe notwendigen materiellen Aufwand von mehreren Platten. So lassen sich insgesamt nur sehr wenige komplette Reproduktionen der Schlacht nachweisen. (Anm. 7) Dabei kommt dem womöglich um 1571 entstandenen Kupferstich von Giovanni Battista de Cavalieri vor allem als frühes Beispiel Bedeutung zu. (Anm. 8) Der wiederholt als Reproduktionsgraphiker nachweisbare Cavalieri gibt wesentliche Elemente des gerade auf dem Höhepunkt befindlichen Kampfgeschehens richtig wieder. Erkennbar ist, wie der in der Mitte herausgestellte Konstantin mit erhobener Lanze auf den rechts in den Fluten des Tibers versinkenden Maxentius zureitet. Um diese Protagonisten sind zahlreiche Menschen und Tiere in heftige Kämpfe verwickelt, wobei im Hintergrund die Milvische Brücke und das Zurückdrängen der Anhänger des Maxentius zu erkennen sind. Deutlich wird auch, dass Raffael nicht nur der liebliche Madonnenmaler ist, sondern dass dieser auch Verwundete und Sterbende, Brutalität und Gnadenlosigkeit, kurzum Schattenseiten des menschlichen Daseins darstellte. (Anm. 9)

Cavalieris Kupferstich gibt zwar wesentliche Elemente des Wandbildes richtig wieder, doch weisen die häufig etwas unbeholfen wirkenden Details zahlreiche, zum Teil weitgehende Freiheiten auf. (Anm. 10) So vermittelt diese Reproduktion allenfalls eine Ahnung vom Original. Dies sollte sich erst 1683 ändern, als Pietro Aquila eine wesentlich genauere und hervorragend ausgeführte Reproduktion vorlegte. (Anm. 11)
David Klemm

LIT (Auswahl): Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 113,
Nr. II.3 II (von II); Höper 2001, S. 416, Nr. F 21.3

1 Zur Ausstattung des Raumes vgl. grundlegend Quednau 1979; Frommel 2017, S. 67–75.
2 Ausst.-Kat. Wien 2017, S. 393.
3 Die wenigen erhaltenen Figurenstudien belegen, mit welcher Akribie und Meisterschaft Raffael dieses gut dreizehn Meter breite Werk vorbereitete; Ausst.-Kat. Wien 2017, S. 393–402.
4 Jüngste Restaurierungsergebnisse legen nahe, dass Raffael zumindest einige Figuren des Dekorationssystems selbst gemalt hat; vgl. Cornini 2020.
5 Quednau 1979.
6 Es handelt sich um die Kartons zur Schlacht von Anghiari von Leonardo und zur Schlacht von Cascina von Michelangelo.
7 Vgl. Höper 2001, S. 415–417.
8 Die Datierung des Druckes beruht auf einer Angabe bei Lepel 1819, S. 209–210, Nr. 17a; vgl. Höper 2001, S. 416.
9 Frommel 2017, S. 71–72.
10 So befinden sich z. B. die schützenden Engel nicht direkt oberhalb, sondern links von Konstantin. Zudem ist der Hintergrund deutlich hügeliger angelegt. Die Komposition erscheint bei Cavalieri ohne jeden Hinweis auf den fingierten Teppich. Dutzende von Figuren sind variiert.
11 Vgl. Höper 2001, S. 416–417, Nr. F 21.4. Die Radierung wurde als so vorzüglich angesehen, dass Francesco Aquila 1722 darauf verzichtete, innerhalb seines umfangreichen Folge der Stanzen-Wandbilder die Schlacht an der Milvischen Brücke nochmals zu reproduzieren. Stattdessen wurde sie in die spätere Folge übernommen. Siehe Inv.-Nr. 2020-28-10.

Details zu diesem Werk

Kupferstich; fest aufgezogen 418mm x 1220mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 2020-29 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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