Francesco Aquila, Radierer, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Domenico de' Rossi, Verleger

Schule von Athen, 1722

Aus: "PICTVRӔ RAPHAELIS SANCTIJ VRBINATIS [...]", hg. v. Domenico de' Rossi, Rom 1722, Tafel 11

Nach Giorgio Ghisis wegweisender Leistung (Inv-Nr. 719) waren in den folgenden gut 150 Jahren nur wenige Gesamtdarstellungen der Schule von Athen veröffentlicht worden. Dabei handelte es sich überwiegend um Kopien bzw. Wiederholungen von Ghisis Kupferstich, was auch dessen christliche Deutung einschloss. Lange Zeit war offenbar die Nachfrage nach Reproduktionen eines der heute berühmtesten Werke der Kunstgeschichte relativ gering. Einen wichtigen Schritt hin zu einer korrekteren Wahrnehmung der Komposition leistete 1722 der vor allem mit qualitätvollen Reproduktionsgraphiken hervorgetretene Palermitaner Francesco Aquila. Seine Wiedergabe der Schule von Athen war hinsichtlich der Genauigkeit relativ zuverlässig und in dieser Hinsicht sämtlichen bis dahin erschienenen Vorläufern überlegen. Zudem lieferte Aquilas lange Beschriftung offenbar erstmals auf einer Reproduktion die bis heute gängige Deutung als Schule von Athen. Dieser Bildtitel war erstmals 1638 in einem Romführer von Gaspare Celio genannt worden. (Anm. 1) Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts hatten auch verschiedene Theoretiker wie Giovanni Pietro Bellori die christliche Interpretation abgelehnt. Aquila war der erste Reproduktionsgraphiker, der darauf reagierte. Bemerkenswert ist Aquilas Schule von Athen auch aufgrund der gewählten Technik der Radierung. Dies ermöglichte im Vergleich zum bis dahin favorisierten Kupferstich nicht nur schnelleres Arbeiten, sondern auch eine lebendigere Wiedergabe. Allerdings erzeugt Aquilas Radierstil in seiner Gleichförmigkeit wenig Spannung, so dass seine Reproduktion im Vergleich zu Vorgängern und späteren Wiedergaben auf den ersten Blick flauer wirkt und weniger ansprechend ist. Aquilas Schule von Athen ist Teil der aus neunzehn Blättern bestehenden Edition PICTVRÆ RAPHAELIS SANCTIJ VRBINATIS [...] mit Abbildungen der wichtigsten Wand- und Deckenbilder der Stanzen. (Anm. 2) Sie erschien 1722 bei Domenico de‘ Rossi in Rom. Sämtliche Blätter sind von Francesco Aquila gezeichnet und radiert worden. Lediglich das besonders große und komplexe Blatt mit der Schlacht an der Milvischen Brücke stammt von seinem Verwandten Pietro Aquila und war schon einige Jahrzehnte zuvor erschienen. (Anm. 3) Charakteristisch für Francesco Aquila ist eine sehr detailreiche Wiedergabe, die z. T. sogar die Ornamente umfasst. Sein Interesse widmet sich auch bis dahin weithin unbeachteten Bereichen wie der gesamten Südwand der Stanza della Segnatura und mehreren Gewölben mit ihren komplexen Bildprogrammen. Der Gesamteindruck der Folge deutet eher auf eine Dokumentation hin. In diese Richtung weist auch die auf jedem Blatt hinzugefügte, zumeist sehr ausführliche Beschriftung, in der wichtige inhaltliche Punkte der Darstellung benannt werden. Der Folge PICTVRÆ RAPHAELIS SANCTIJ VRBINATIS [...] kommt innerhalb der Reproduktionsgeschichte von Werken Raffaels höchster Rang zu. Erstmals überhaupt wurden hier die wichtigsten Malereien der Stanzen für die ganze Welt („AD PVBLICVM TER RARVM ORBIS ORNAMENTVM“) in großformatigen Graphiken abgebildet. Dies war ein gewaltiger Schritt hin zu einer angemessenen Würdigung dieses herausragenden Ensembles. Angesichts dieser Tatsache ist es seltsam, dass Aquilas bewundernswürdige Leistung bislang nur relativ wenig Beachtung fand. (Anm. 4) So stellen sich momentan mehr Fragen als es eindeutige Antworten gibt. Dies betrifft etwa die Berater, die Finanziers oder die Auftraggeber der aufwändigen Folge, an der Aquila mit Sicherheit mehrere Jahre gearbeitet haben dürfte. Mit einiger Sicherheit förderten die Edition die zur ihrer Entstehungszeit amtierenden Päpste Clemens XI. und Innozenz XIII., dem auch mit einer Widmung gedankt wurde. Auf eine enge Verbindung zum Vatikan weist unverkennbar auch die Reihenfolge der Darstellungen hin, die nicht – wie heute gewohnt – chronologisch ist, sondern mit den für das Selbstverständnis der Päpste essentiellen Ereignissen um Kaiser Konstantin beginnt (Inv.-Nr. 2020-28-2 bis -4).
David Klemm

LIT: Kolloff 1872b, S. 205, Nr. 43; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 122, Nr. I.11

1 Celio 1638; vgl. McGrath 1998, S. 158.
2 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 2020-28-1 bis 18; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 120–124, Serie Stanze I; Ausst.-Kat. Brescia 2020, S 118, Nr. 38.
3 Die großformatige, von vier Platten gedruckte Radierung erschien bereits 1683 bei Giovanni Giacomo de’Rossi mit einer Widmung an Christina von Schweden. Aufgrund der hohen Qualität und der sehr mühevollen und kostspieligen Herstellung verzichteten Aquila und de’Rossi sicherlich ganz bewusst auf eine neue Reproduktion; vgl. Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 124; Höper 2001, S. 416–417, Nr. F 21.4.
4 Eine Ausnahme bildet die Würdigung in Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 120.

Details zu diesem Werk

Radierung, Kupferstich(?) 514mm x 711mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2020 vom Auktionshaus Galerie Gerda Bassenge, Berlin, mit Mitteln des Fördervereins "Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V." Inv. Nr.: 2020-28-10 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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