Giovanni Folo, Stecher
nach Vincenzo Camuccini, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Kopf der Mutter des mondsüchtigen Knaben (Detailkopie nach dem Gemälde der Verklärung Christi - Transfiguration Christi -), 1806

Aus: "STUDIO DEL DISEGNO [...]", Rom o.J. [1806], Tafel 13

Der junge, etwa sechzehnjährige Vincenzo Camuccini, der später zum international hochgeschätzten Malerfürsten Roms und Präsidenten der römischen Accademia di San Luca avancierte, zeichnete um 1787 in Rom als Schüler des römischen Malers Domenico Corvi und unter der Anleitung seines älteren Bruders, des Kunsthändlers und Gemälderestaurators Pietro Camuccini, zu Studienzwecken eine Vielzahl von großformatigen Kopien nach Details aus Werken Raffaels wie den Fresken der Disputa, der Schlacht an der Milvischen Brücke und der Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel sowie Köpfe, Hände und Füße der zahlreichen Figuren der Verklärung Christi. (Anm. 1) Wohl zur gleichen Zeit fertigte Camuccini zu Studienzwecken auch sehr genaue anatomische Studien von Armen und Beinen nach Verstorbenen an, die kürzlich aus dem Nachlass des Künstlers auf den Kunstmarkt kamen. (Anm. 2) Das Interesse an Anatomie war beim Künstler also außerordentlich groß.
Um 1806 – das Gemälde Raffaels befand sich bekanntlich seit 1798 in Paris und kehrte erst 1815 nach Rom zurück – erschien auf Anregung Camuccinis die vorliegende Publikation mit 31 Kupferstichen von Giovanni Folo nach seinen frühen Zeichnungen. Das Tafelwerk sollte in Abwesenheit des Bildes als Zeichenanleitung für angehende Maler dienen, die der Künstler selbst ausbildete, aber durch die Verbreitung im Kupferstich natürlich auch weit darüber hinaus. Die Zeichnungen Camuccinis von 1787 sowie die Kupferstichfolge von 1806 stehen in der Tradition der 1785 ebenfalls als Reproduktionsgraphiken vervielfältigten Zeichnungen des Anton Raphael Mengs nach Raffaels Fresko der Disputa in den Stanzen des Vatikan und wurden vielleicht sogar direkt durch diese angeregt (vgl. Inv-Nr. 2020-25-6, 2020-25-19, 2020-25-31, 2020-25-36). Auch Johann Caspars Lavater zeichnete eine physiognomische Übersichtstafel mit den wichtigsten Köpfe aus der Verklärung Christi – was deren Bedeutung im Kunstdiskurs unterstreicht, wobei Lavater bei seinem Typenkanon ohne die Rhetorik der ausdrucksvollen Gesten des Bildes auskommt, sondern sich auf den Ausdruck der Gesichter beschränkt. (Anm. 3)
Eine wohl von Giuseppe Antonio Guattani in den Memorie enciclopediche verfasste Besprechung des Bandes von Folo und Camuccini lobt 1806 den Wert, den diese Kupferstiche Folos nach den Zeichnungen Camuccinis der Detailmotive Raffaels für die zeichnerische Künstlerausbildung zukünftig haben werden. (Anm. 4)
Der amerikanische Maler Rembrandt Peale aus Philadelphia – in Deutschland bekannt durch seine 1801 zusammen mit seinem Vater Charles Willson Peale geglückte Ausgrabung zweier Mammutskelette, von denen sich eines seit 1854 in Darmstadt befindet, sowie durch sein Bildnis Alexander von Humboldts – bereiste 1829 und 1830 Italien. Im Jahr darauf veröffentlichte er seine Notes on Italy, in denen die Werke Raffaels vielfältige und aufmerksame Beachtung finden. Auch Camuccinis gezeichnete Kopien nach Raffaels Fresken und Gemälden bekam er zu sehen und lobte diese aus Gründen der Anschaulichkeit gegenüber den damals wohl leider kaum noch zu erkennenden, weil verschmutzten Originalen (Anm. 5) : „But these Works [Raffaels Fresken in den Stanzen; Anm. d. Verf.] are now faded, dirty, defaced and repaired, to such a degree, that just a conception of them cannot be formed without the assistance of careful drawings made from them. From the example of Camucini [sic], the celebrated historical painter of Rome, these drawings are frequently made of single figures or groups, at a time, of full size, and carefully shaded on gray paper with black and white crayon.“ (Anm. 6)
Reproduktionsgraphiken – welcher Form und Art auch immer – wie beispielsweise die Figurendetails von Camuccini und Folo trugen trotz des damals schlechten konservatorischen Zustands der Originale in hohem Maße zur weiteren Verbreitung und Popularisierung der Werke Raffaels bei und wurden in den Akademien von Rom, Mailand und Turin zu Studienzwecken für die Zeichenschüler benutzt. (Anm. 7)
Schon Johann Caspar Lavater, der Raffaels Wesen und seine Werke für seine physiognomischen Untersuchungen mehrfach heranzog, hatte sich 1778 die Figur des verklärten Christus aus der Transfiguration für seine Publikation der Physiognomischen Fragmente herausgegriffen und als erklärende Tafel in Form eines Kupferstichs seinem Text beigefügt. (Anm. 8)
Andreas Stolzenburg

LIT (Auswahl): Guattani 1806b, S. 75–76; Lepel 1819, S. 78–79; Aukt.-Kat. London, Roseberry’s 2015 (online), o. S., Nr. 602; Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 127–131,
Nr. 22 (Beitrag Pier Paolo Raciappi)

1 Verdone 2005, S. 9. Die Zeichnungen sind noch im Nachlass des Künstlers im Palazzo Camuccini in Cantalupa in Sabina bei Rieti erhalten; vgl. eine Auswahl im Ausst.-Kat. Rom 1978, S. 9–10, Nr. 1–7, hier spez. Nr. 6 (Testa di donna dalla Trasfigurazione di Raffaello, Kohle und schwarze Kreide, 407 x 292 mm, Klebeband 14, Nr. 19).
2 Caputo 2018.
3 Barta Fliedl/Geissmar 1992, S. 151, Abb. 78.
4 „Altra lodevole intrapresa sorge ora in campo per un libro di arte elementare pittorica della quale uscirà quanto prima un dettagliato manifesto, Mira essa direttamente al bene di que’ pros liti [sic] della pittura, cui sta a cuore la correzion del disegno, parte essenzialissima, anzi base fondamentale dell’arte. In occasione che si dovette calare il famoso quadro della Trasfigurazione, accio passasse in terras alio sole calentes, tutte le teste , mani, piedi, di quelle sorprendenti figure che lo compongono, furono lucidate e disegnate accuratissimamente dal Sig. Vincenzo Camuccini con il suo solito valore, ed intelligenza in quel genere. Passati questi contorni in mano, dell’egregio incisore Sig. Giovanni Folo, si daranno da lui lucidati ed incisi con il più grande scrupolo ed esattezza. L’opera si eseguirà per associazione, e dal professore sì avrà tutto il riguardo alla discretezza de’prezzi, perchè i giovani studiosi possano facilmente acquistare questo per essi prezioso tesoro, capace di risparmiar loro la spesa d’infiniti altri magisteri ed insegnamenti di tal genere. E chi non sa che in quel dipinto il Divino Sanzio superò se stesso, principalmente per tutto ciò che riguarda la bella invenzione, il variato carattere delle fisonomìe, e la correzione appunto delle estremità delle figure? Basterà il ricordarsi come il solo Giulio Romano fu giudicato capace per terminare di quel quadro un angolo mancante di colore, di apporvi il pennello; siccome egli fece timido, e quasi tremante, per non oltrepassare i contorni già segnati da quel divino maestro.“; Guattani 1806b, S. 75–76. 5 Dieselbe Beobachtung machte kurz zuvor schon der Göttinger Carl Wilhelm Oesterley: „Am vergangenen Donnerstag war ich im Vatican, die Stanzen von Raphael sind leider sehr verdorben, sehen schmutzig aus und doch findet man bei näheren Ansehens, daß es die ersten Bilder der Welt sind; die Kupferstiche darnach geben auch nicht eine Ahndung [sic] von dem Geiste, Leben, Colorit und Ausführung der Schule von Athen, der Disputà […].“; Brief Carl Wilhelm Oesterleys an Ferdinand Oesterley (Rom, 3. 12. 1826), Stadtbibliothek Hannover, Handschriftenarchiv, Mappe Carl Oesterley, Sign. 50.5177; zit. nach Mikolajczak 2019, S. 38. Ende der 1830er Jahre wurden die Fresken von dem Maler Filippo Agricola gesäubert; vgl. Agricola 1839.
6 Peale 1831, S. 131.
7 Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 131.
8 Lavater 1778, Bd. 4, Tafel nach S. 446.

Details zu diesem Werk

Kupferstich (Punktiermanier), Radierung, Kaltnadel 395mm x 310mm (Bild) 452mm x 322mm (Platte) 485mm x 351mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2020 von Pickering & Chatto, Antiquarian Booksellers, London, mit Mitteln des Fördervereins „Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V.“ Inv. Nr.: 2020-24-14 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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