Giovanni Battista Borani, Lithograph
nach Vincenzo Camuccini, Zeichner

Das geöffnete Grab Raffaels mit den freigelegten Gebeinen / "Scheletro intiero di Raffaele Sanzio", 1833

Der römische Malerfürst und Präsident der Accademia di San Luca, Vincenzo Camuccini, wurde von dem Bildhauer Giuseppe de Fabris, dem Reggente perpetuo der Congregazione dei Virtuosi al Pantheon, beauftragt, zwei Zeichnungen von dem am 14. September 1833 im Pantheon aufgefundenen und auf seine Veranlassung hin geöffneten Grab Raffaels anzufertigen. (Anm. 1) Diese am 15. und 16. September 1833 angefertigten Zeichnungen Camuccinis, die 1875 als so getreu wie fotografiert bezeichnet wurden (Anm. 2), befinden sich in der Sammlung der Pontificia Insigne Accademia di Belle Arti e Lettere dei Virtuosi al Pantheon in Rom. (Anm. 3) Die Zeichnungen wurden den Virtuosi al Pantheon durch Camuccini bereits am 5. Oktober 1833 seinem Auftrag nachkommend („in attestato di affettuoso ossequio“) übergeben, doch nahm er sie bei anderer Gelegenheit wieder mit, denn er wollte sie in Gedenken an Raffael unbedingt bei sich bewahren, wie sein Biograph Falconieri 1875 überliefert hat. (Anm. 4) Am 9. Dezember 1855, lange nach dem Tod Camuccinis, wurden sie dann aber doch von Ferdinando Raimondi Kukel, dem Maler, Archivar und Sopraintendente alle Capelle e Galleria der Accademia, erneut übergeben und werden bis heute im Pantheon verwahrt.
Die erste der beiden Zeichnungen bzw. Lithographien zeigt die noch nicht vollständig ausgegrabenen Knochen (Inv-Nr. 2020-11), die zweite das nach der Freilegung rekonstruierte und wieder zu einem
menschlich anmutenden Körper zusammengelegte Skelett (Inv-Nr. 2020-12). (Anm. 5) Pietro Camporese d. J. (Anm. 6) und Pietro Mazzocchi fertigten zwei weitere Zeichnungen an, die einen Aufriss der Ädikula mit den in der Nische liegenden Gebeinen Raffaels und der Madonna del Sasso (Inv-Nr. 2020-13) (Anm. 7) sowie eine Ansicht des von Gregor XVI. für die erneute Beisetzung gestifteten Sarkophags zeigen. (Anm. 8) Alle vier Blätter wurden von Giovanni Battista Borani lithographiert. Die Ansicht der Grabädikula (Inv-Nr. 2020-13) wurde 1853 nochmals in den Addenda zu Quatremère de Quincys Raffael-Monographie veröffentlicht. (Anm. 9)
Begleitet wurde die Exhumierung der Gebeine des Künstlers von literarischen Beschreibungen, von denen die wichtigste, die 1833 in einer ersten und bereits 1836 in einer zweiten Auflage erschienene Istoria del ritrovamento delle spoglie mortali di Raffaello Sanzio da Urbino, aus der Feder des Augenzeugen Fürst Pietro Odescalchi, dem Präsidenten der Päpstlichen Akademie für Archäologie in Rom, stammte. (Anm. 10) Eingang in diese Schrift fanden auch Ausführungen zur Identifizierung der Lage des Grabes mittels Raffaels Testamentes von Pietro Ercole Visconti (Anm. 11) und ein kurzes Gedicht von Luigi Biondi, das die Auffindung der Spolien des Künstlers zelebriert. Keinem anderen Künstler außer dem göttlichen Raffael wurde in der Geschichte eine solche, von zahlreichen dokumentierenden bildlichen und textlichen Zeugnissen begleitete feierliche Exhumierung und Translation – einem christlichen Heiligen gleich – vor oder nachher je zuteil.
Andreas Stolzenburg

Nehrlich 2012, S. 63, Abb. 4 (hier die Lithographie Boranis
fälschlich als die Zeichnung Camuccinis bezeichnet); Ausst.-Kat.
Göttingen/Rom 2015, S. 188–189, Nr. 26b; Tiberia 2016, S. S. 127–128 (Beitrag
Anna Lisa Genovese), S. 133, vgl. S. 131 (Vorzeichnung Camuccinis)

1 Zum Vorgang der Graböffnung siehe den Beitrag von Andreas Stolzenburg im Katalog „Raffael. Wirkung eines Genies“ 2021, S. 77–80. Vgl. Nehrlich 2012.
2 „Codesti disegni riuscirono così perfetti che paiono fotografati.“; Falconieri 1875, S. 184. Hier scheinen eher die Lithographien, als die verbräunten Bleistiftzeichnungen Camuccinis gemeint gewesen zu sein, die in der Tat einen erstaunlichen Naturalismus aufweisen.
3 Stringa 1994, S. 27, Abb.; Tiberia 2016, S. 130–131 (mit älterer Lit.); vgl. S. 132–133 (Lithographien
4 „Codesti due disegni fatti da me con tanto affetto in ricordo di quel genio sublime, si conservassero scrupolosamente in mia famiglia, essendo attaccatissimo alla memoria di quel genio!“; Falconieri 1875, S. 186; zum Vorgang vgl. Tiberia 2016, S. 127 (Beitrag Anna Lisa Genovese).
5 Die Zeichnungen erwähnt auch Johann David Passavant in seiner Raffael-Monographie, wo er seinen Brief vom 18. 9. 1833 an Philipp Veit in Frankfurt abdruckt; Passavant 1839a, S. 562–567, hier S. 565–566 (zu den Zeichnungen Camuccinis).
6 Zu Pietro Camporese d. J. siehe: https://muromaestro.wordpress.com/2018/04/11/pietro-camporese-giuniore-1792-1873/ (letzter Aufruf: 9. 4. 2021).
7 Camporeses Komposition wurde 1853 nachgestochen (Quatremère de Quincy, Antoine C.: „Appendice a l’ouvrage intitulé Histoire de la Vie et des Ouvrages de Raphael“ [...] Seconde Édition [...] par [...] Bon Boucher Desnoyers, [...], [Paris] 1853, Tafel 2 nach dem Titel [hier Abb. 1]).
8 Giovanni Battista Borani nach Pietro Mazzocchi, Der von Gregor XVI. gestiftete antike Girlanden-Sarkophag Raffaels im Pantheon, 1833, Lithographie, 167 x 259 mm, London, The British Museum, Inv.-Nr. 1872.1012,4720; vgl. Tiberia 2016, Abb. S. 137 (Exemplar: Rom, Pontificia Insigne Accademia di belle Arti e lettere dei Virtuosi al Pantheon).
9 Inv.-Nr. kb-1024-3; in: Antoine Quatremère de Quincy: Appendice a l’ouvrage intitulé Histoire de la Vie et des Ouvrages de Raphael [...] Seconde Édition [...] par [...] Bon Boucher Desnoyers, [...], [Paris] 1853, Tafel 2 nach dem Titel.
10 Odescalchi 1833b. Erstmals mit Datum vom 20. 10. 1833 erschienen und dem Kardinal Giuseppe Albani, dem Sekretär der Breven Gregors XVI. gewidmet im Giornale Arcadico di Scienze, Lettere ed Arti; Odescalchi 1833a; vgl. Odescalchi 1836.
11 Pacchiani 1999.

Details zu diesem Werk

Lithographie 202mm x 322mm (Bild) 218mm x 338mm (Platte) 218mm x 336mm (Blatt) 378mm x 512mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2020 mit Mitteln des Fördervereins „Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V.“ Inv. Nr.: 2020-12 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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