Salvator Rosa
Heiliger Hieronymus
Im Jahr 2007 konnte mit der Kompositionsstudie für das Gemälde „Der tauubstumme Sohn des Königs Kroisos hält die Perser davon ab, seinen Vater zu töten“ für die Sammlung der italienischen Zeichnungen des Kupferstichkabinetts eine wichtige Ergänzung des bisher eher kleinen Bestandes an Zeichnungen des bedeutenden, aus Neapel gebürtigen Malers und Radierers Salvator Rosa getätigt werden.(Anm.1) Im Jahre 2011 gelang es nun, eine weitere Zeichnung Rosas zu erwerben, die dieselbe historisch überaus bedeutende Provenienz aus der Sammlung der Königin Christina von Schweden bzw. des Principe Odescalchi in Rom aufzuweisen hat.
War die um 1663/64 entstandene Kompositionsstudie eine überlegt mit Rötel überarbeitete lavierte Federzeichnung in brauner Tinte, handelt es sich bei der vorliegenden Zeichnung um eine schnell, mit breiter Feder in hell- und dunkelbrauner Tinte hingeworfene erste Figurenstudie zur Figur des Heiligen Hieronymus, die lediglich im Bereich der Figur eine leichte, darunterliegende graubraune Pinsellavierung aufweist.
Der Heilige sitzt bildparallel auf einem Felsvorsprung und hält ein Blatt Papier in der rechten Hand und scheint zu lesen. Er beugt sich leicht nach vorn in Richtung des zu seinen Füßen liegenden Löwen, dem er der Legende nach einen Dorn aus der Tatze gezogen hatte und der ihn seitdem friedlich begleitete und so zu seinem Attribut wurde. Hinter dem Löwen erkennt man zwei kleine Putten. Der Löwe und beide Figuren sind aufgrund der ungemein schnellen und dynamischen lediglich mit Kürzeln arbeitenden Zeichenweise Rosas erst auf den zweiten Blick wirklich erkennbar.
Die Studie wurde 1977 erstmals von Michael Mahoney im Verzeichnis der Zeichnungen des Künstlers veröffentlicht und der Gruppe der Studien und Skizzen zum Altarbild des hl. Hieronymus in der Cappella della Pietà im Dom San Venanzio in Fabriano zugeordnet. (Anm.2) Motivisch ist dies zunächst nachvollziehbar, auch wenn der Heilige hier im Profil lesend und nicht wie im Gemälde mehr oder weniger frontal sitzend mit erhobenen Armen wiedergegeben ist. Mahoney verzeichnet noch weitere gezeichnete Darstellungen des hl. Hieronymus, die er alle mehr oder weniger dem Altarbild zuordnet. (Anm.3) Zwei dieser Skizzen kommen der vorliegenden Zeichnung sowohl in Komposition wie der dynamischen Zeichentechnik der Feder sehr nahe. (Anm.4) Das Gemälde mit dem hl. Hieronymus in Fabriano datiert Mahoney aufgrund der motivischen Nähe der von ihm zusammengestellten Zeichnungen der Gruppe 30, die seiner Meinung nach stitlistisch Ende der 1640er Jahre in Florenz entstanden sein müüsen, gleichfalls auf die späten Jahre in Florenz kurz vor 1649. (Anm.5)
Inzwischen wird das Altargemälde aber wegen seiner kompositorischen wie stilistischen Nähe zu Jusepe Ribera und der Baugeschite der Kapelle wieder zu Recht als um 1639/40 entstandenes Frühwerk angesehen.(Anm.6) Um 1640 wird mit dem Verweis auf Ribera auch eine Radierung Rosas datiert, die ebenfalls einen in der Wildnis sitzenden Heiligen zeigt, der, wenngleich auch nicht mit Attributen versehen, am ehestens als hl. Hieronymus zu deuten wäre.(Anm.7) Diese Radierung wird meist in einem Atemzug mit dem riberesken Altargemälde genannt und in der Tat wird es sich um ein noch sehr zögerliches Frühwerk Rosas handeln.
Mahoney Gruppierung muss also neu überdacht werden, wobei man sich seiner grundsätzlichen Datierung der nun Hamburger Hieronymus-Zeichnung in die späten Florentiner Jahre durchaus anschließen kann, ohne ausschließen zu können, dass die Zeichnung aufgrund ihrer wilden zupackenden Art – eher ein Charakteristikum der späteren Zeichnungen des Künstlers – auch erst in Rom, also nach 1650, gezeichnet worden sein könnte. Auffallend ist hier die im Figurenaufbau – im Profil sitzende Figur mit zwei Putten zu ihren Füßen – kompositorische Ähnlichkeit mit dem stilistisch um 1650 einzuordnenden, wohl aber erst 1656 nach dem Tod des Sohnes Rosalvo entstandenen Gemälde der „Humana fragilitas“ in Cambidge.(Anm.8) Als weitere zu dieser um oder kurz nach 1650 anzusetzenden Gruppe gehörende Zeichnungen seien zwei Blätter in Leipzig (Anm.9) angeführt und die kurz erwähnten, zu Recht von Mahoney dem Hamburger Hieronymus direkt zur Seite gestellten Skizzen.(Anm.10) Auch die Kompositionsstudie eines knienden Heiligen im British Museum in London sei hier erwähnt.(Anm.11) Hier zeigt sich besonders in der verschatteten Gesichtspartie eine Parallele zum Hamburger Blatt.
Die etwas größere, wohl auch um 1650 anzusetzende „Allegorie des Schicksal mit Attributen der Malerei“ zeigt, wenn auch in wesentlich beruhigter Form, eine ähnlich charakteristische Verwendung der Parallelschraffuren wie die Zeichnung des hl. Hieronymus.(Anm.12) Das Hamburger Blatt wird demnach wohl mit einigem Recht um 1650 oder kurz danach zu datieren sein, wenn auch die zuzpackende Art der Studie eher schon auf Rosas Zeichnungen der späten 1650er und frühen 1660er Jahre vorauszuweisen scheint.
Andreas Stolzenburg
1 Inv.-Nr. 2007-9. Vgl. Andreas Stolzenburg, in: IDEA. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 2005 bis 2007, Hamburg 2009, S. 197, Abb.
2 Michael Mahoney: The Drawings of Salvator Rosa, New York, London 1977, S. 350-351, Nr. 30.4.
3 Ebd., S. 349-356 , Nr. 30.1-30.15, Abb.
4 Ebd., S. 350, Nr. 30.2-30.3, Abb..
5 Mahoney 1977, S. 391, Kommentar zu Nr. 30.5.
6 Xavier F. Salomon: “L`unico aborto dei suoi penelli”: Salvator Rosa`s Altarpieces, in: Salvator Rosa e il suo tempo 1615 - 1673, Convegno internazionale di studi, Rom, Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Sapienza Università di Roma, Facoltà di Lettere e Filosofia, hrsg. v. Sybille Ebert-Schifferer, Helen Langdon, Caterina Volpi, Rom 2010, S. 175-197, hier S. 182. Schon Luigi Salerno hatte das Bild 1963 bzw. 1975, also vor dem Erscheinen von Mahoneys Buch, früh datiert; Lugi Salerno: L`opera completa di Salvator Rosa, Mailand 1975, S. 85, Nr. 11.
7 Exemplar im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Inv.-Nr. 2229; Mario Rotili: Salvator Rosa incisore, Neapel 1974, S. 146, Nr. 4, Abb.; Richard W. Wallace: The Etchings of Salvator Rosa, Princeton 1979, S. 131, Nr. 2* (Erwähnung des Hamburger Exemplars).
8 Öl auf Leinwand, 186,5 x 133 cm, Cambridge, Fitzwilliam Museum; Salerno 1975, S.94-95, Nr. 116, Tafel XXXV.
9 Heiliger Hieronymus mit dem Löwen, Feder in Braun, braun laviert, 149 x 173 mm, Museum der bildenden Künste Leipzig, Inv.-Nr. NI. 8649; Andreas Stolzenburg, in: Salvator Rosa – Genie der Zeichnung. Studien und Skizzen aus Leipzig und Haarlem, Köln 1999, S. 118-119, S. 228, Nr. 41, Abb; Kniender Eremit mit Kruzifix, Feder in Braun, 153 x 190 mm, ebd., Inv.-Nr. NI. 8650; ebd., S. 228, Nr. 40. Beide Zeichnungen hier 1646/50 datiert.
10 Mahoney 1977, S. 349-351, Nr. 30.2-30.3, 30.5.
11 London, British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. Ff,2 175; Mahoney 1977, S. 355-356, Nr. 30.15, Abb.
12 Feder in Braun, 245 x 171 mm, Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. E 7; Stolzenburg 1999, S. 120-121, Abb., S. 228, Nr. 42.