Salvator Rosa

König Kroisos wird von seinem stummen Sohn vor den Persern gerettet, um 1663

Das Blatt, das ursprünglich aus der berühmten Sammlung der Königin Christina von Schweden in Rom stammt und über die römische Familie Odescalchi nach Hamburg gelangte (Anm. 1), zeigt eine im Querformat angelegte Komposition mit neunzehn Figuren in einer Hügellandschaft. Im Mittelpunkt des Geschehens befindet sich ein von drei Soldaten über einem großen Steinblock rücklings niedergedrückter, bärtiger älterer Mann, der bei dieser Aktion in die Knie geht. Ein Soldat fesselt seinen linken Arm, während hinter dem Steinblock ein finster blickender Krieger mit der rechten Hand zum Schwerthieb ausholt, um ihn zu töten. Links neben dem Steinblock kniet ein sich auf seinen Schild stützender Soldat, den Kopf weit vorgereckt. Hinter ihm hebt ein stehender Mann erschrocken beide Hände zum Himmel. Rechts der Tötungsszene stehen im Hintergrund weitere Männer, vor denen ein Soldat, gestützt auf seinen ovalen Schild, auf einem Stein sitzt, während ein zweiter Soldat sich von hinten über ihn beugt. Beide beobachten gespannt das Geschehen. Am rechten Rand des Blattes, unterhalb einer Baumgruppe stehen drei Soldaten. Der Mann im Zentrum der Dreiergruppe hält einen Speer in der Linken, die rechte Hand ist mit gespreizten Fingern im Redegestus hoch erhoben. Dieser bestimmenden Geste antworten die erhobenen Arme des Mannes links.
Die Gruppe der Soldaten ist wie auf einer Bühne im Raum verteilt. Rosa schildert variantenreich die Reaktionen der Soldaten auf die beabsichtigte Tötung im Zentrum. Die Darstellung vereint die beiden großen Themen des Künstlers: die Landschaftsdarstellung und die von ihm selbst stets favorisierte Figurenmalerei.
Um 1663/64 schuf Rosa zwei als Pendants angelegte Gemälde: „König Thales bewegt den Fluss Halys, zu beiden Seiten des lydischen Heeres zu fließen“ (Anm. 2) und „Der stumme Sohn des Königs Kroisos hält die Perser davon ab, seinen Vater zu töten“ (Anm. 3). Die Hamburger Zeichnung ist eine Studie zu der bewegenden Szene, in der der stumme Sohn des lydischen Königs Kroisos (um 591/ 590-um 541 v. Chr.) seine ersten Worte spricht und so dem Vater das Leben rettet.(Anm. 4) Deutlich sind der vom Tod bedrohte König Kroisos, der zum Todesstoß ausholende Soldat daneben und der dem Geschehen Einhalt gebietende Königssohn mit dem hinter ihm stehenden zweiten Soldaten mit Lanze zu erkennen, sowohl in der Zeichnung als auch nahezu identisch im Gemälde. Zwischen Vater und Sohn ist im Gemälde auch der sitzende Soldat mit Schild wiedergegeben. Einen stilistischen Anknüpfungspunkt für die Entstehung der Zeichnung um 1663/64 bildet eine der Leipziger Studien zu dem Gemälde „Die Gründung Thebens durch König Kadmus“ von 1660/61 (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst)(Anm. 5) und im Federstrich wie in der Lavierung eine Figurenstudie zur „Kreuzigung des Polykrates“ von 1662 (Chicago, The Art Institute)(Anm. 6), ebenfalls in Leipzig.
Im Jahre 1662 nahm Rosa zudem seine frühere Komposition des „Martyriums des Atilius Regulus“ von 1652 erneut auf und schuf nach dem Gemälde eine Radierung.(Anm. 7) Im selben Jahr entstanden das erwähnte Historienbild „Die Kreuzigung des Polykrates“, von der Rosa ebenfalls eine Radierung schuf (Anm. 8), und sein Pendant „Polykrates und der Fischer“ (Chicago, The Art Institute).(Anm. 9) Mehr oder weniger gleichzeitig arbeitete Rosa an dem Bilderpaar „Pythagoras und die Fischer“ (Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie)(Anm. 10) und „Pythagoras entsteigt der Unterwelt“ (Fort Worth, Kimbell Art Museum).(Anm. 11) Diese Gemälde zeichnen sich in ihrer Erzählstruktur durch zahlreiche auf breit gelagerter Bühne emphatisch agierende Figuren (Anm. 12) aus, ganz so wie es in dem Gemälde und auf der Hamburger Zeichnung mit der Geschichte des Kroisos und seinem stummen Sohn der Fall ist.

Andreas Stolzenburg

1 Folgt man den Ausführungen Marcel Roethlisbergers zu den vier im Nachlassinventar des Livio Odescalchi von 1714 erwähnten Klebebänden mit Zeichnungen Rosas, kommt man zu dem Schluss, dass das vorliegende Blatt aus dem umfangreichen dritten Band stammen muss, der in Roethlisbergers englischer Übersetzung wie folgt beschrieben wird: „A book in quarto as above, bound in dark red leather gilt, with 83 drawings by Salvator Rosa, of various works, on 88 pages, one page containing his portrait in red chalk.“ (Roethlisberger 1985–1986, S. 20). Dieser Band war bis in die 1970er Jahre noch intakt; seitdem tauchen immer wieder Zeichnungen daraus auf dem Kunstmarkt auf. Zu den Sammlungen Christina von Schweden und Odescalchi vgl. Ursula Fischer Pace, Andreas Stolzenburg: Zur Provenienz der römischen Barockzeichnungen im Museum der bildenden Künste Leipzig, in: Ausst.-Kat. Leipzig/Haarlem 1999, S. 37-79.
2 Öl auf Leinwand, 73,5 x 97 cm, Adelaide, Gallery of South Australia, Gift of the Art Gallery of South Australia Foundation 1991, Inv.-Nr. 894 P7 (monogr. „SR“; erworben aus einer französischen Privatsammlung über Matthiesen Fine Arts Ltd., London; vgl. Jonathan Scott, Salvator Rosa. His Life and Times, New Haven, London 1995, S. 184, Abb. 196; Andreas Stolzenburg: Zu Leben und Werk Salvator Rosas, in: Ausst.-Kat. Leipzig/Haarlem 1999, S. 8-36, S. 24, Abb. 26. Zur Quelle vgl. Herodot, Historien, Buch I, Vers 75–76 (zit. nach Herodot, Historien, hrsg. u. übers. v. Josef Feix, Düsseldorf, Zürich 2004, S. 39–40).
3 Vgl. Jonathan Scott, Salvator Rosa. His Life and Times, New Haven, London 1995, S. 184, Abb. 196; Andreas Stolzenburg: Zu Leben und Werk Salvator Rosas, in: Ausst.-Kat. Leipzig/Haarlem 1999, S. 8-36, S. 24, Abb. 27, mit Anm. 126 auf S. 34–35.
4 Herodot berichtet über den lydischen König Kroisos, der sein Reich an den Perserkönig Kyros verlor: „Kroisos selbst hatte folgendes Schicksal: Einer seiner Söhne, (…), war sonst ein trefflicher Mann, aber stumm. Früher, in den Tagen seines Glücks, hatte Kroisos alles für ihn getan, was er konnte. Unter anderem, was er ersann, hatte er auch Boten nach Delphi geschickt, um das Orakel seinetwegen zu befragen. Die Pythia hatte ihm geantwortet: ‚Lyder dem Blute nach, König von vielen, gewaltiger Tor doch,/Kroisos, wünsche dir nicht im Haus die erbetene Stimme/Deines sprechenden Sohnes zu hören; es ist für dich besser./Denn, wenn zuerst er spricht, das ist am Tage des Unglücks.’/Als jetzt die Mauer genommen war, ging ein Perser, der Kroisos nicht kannte, auf ihn los, um ihn zu töten. Kroisos sah ihn zwar herankommen, achtete aber nicht darauf; denn das Schicksal hatte ihn so gebeugt, daß ihn der Tod nicht schreckte. Als aber sein stummer Sohn den Perser auf den Vater zustürzen sah, lösten Furcht und Leid seine Stimme, und er rief: „Mensch, töte Kroisos nicht! Das war das erste Wort, das er sprach. Seitdem konnte er zeit seines Lebens wieder reden.“ Herodot, Historien, Buch I, Vers 85–86 (zit. nach Herodot, Historien, hrsg. u. übers. v. Josef Feix, Düsseldorf, Zürich 2004, S. 44–45).
5 Vgl. Salvator Rosa – Genie der Zeichnung. Studien und Skizzen aus Leipzig und Haarlem, bearb. v. Andreas Stolzenburg, hrsg. v. Herwig Guratzsch, Ausst.-Kat. Museum der bildenden Künste Leipzig, Haarlem, Teylers Museum, Köln 1999, S. 152–153, Nr. 119, Abb. S. 157 (Beitrag Andreas Stolzenburg); vgl. zum Gemälde Salvator Rosa. Tra mito e magia, Ausst.-Kat. Neapel, Museo di Capodimonte, Neapel 2008, S. 154–155, Nr. 33, Abb. Vgl. die Zeichnung „Kniende Frau mit einem Tuch in den Händen (Nausikaa)“; Salvator Rosa – Genie der Zeichnung. Studien und Skizzen aus Leipzig und Haarlem, bearb. v. Andreas Stolzenburg, hrsg. v. Herwig Guratzsch, Ausst.-Kat. Museum der bildenden Künste Leipzig, Haarlem, Teylers Museum, Köln 1999, S. 186–187, Nr. 188, Abb., hier dat. 1663/64 (Beitrag Andreas Stolzenburg).
6 Luigi Salerno: L’opera completa di Salvator Rosa, Classici dell’arte, Mailand 1975, S. 101–102, Nr. 213. Zur Zeichnung vgl. Salvator Rosa – Genie der Zeichnung. Studien und Skizzen aus Leipzig und Haarlem, bearb. v. Andreas Stolzenburg, hrsg. v. Herwig Guratzsch, Ausst.-Kat. Museum der bildenden Künste Leipzig, Haarlem, Teylers Museum, Köln 1999, S. 184–185, Nr. 184 (Beitrag Andreas Stolzenburg).
7 Mario Rotili: Salvator Rosa incisore, Neapel 1974, S. 226–227, Nr. 105.
8 Ebd., S. 224–225, Nr. 104.
9 Luigi Salerno: L’opera completa di Salvator Rosa, Classici dell’arte, Mailand 1975, S. 102, Nr. 214.
10 Ebd., S. 98, Nr. 164.
11 Ebd., S. 98, Nr. 165.
12 Es fällt auf, dass auf der Hamburger Zeichnung, dem zugehörigen Gemälde in Adelaide sowie in weiteren Historienbildern nach 1660 die Gebärde der in Erregung über den Kopf erhobenen Hände häufig vorkommt; vgl. Salvator Rosa – Genie der Zeichnung. Studien und Skizzen aus Leipzig und Haarlem, bearb. v. Andreas Stolzenburg, hrsg. v. Herwig Guratzsch, Ausst.-Kat. Museum der bildenden Künste Leipzig, Haarlem, Teylers Museum, Köln 1999, S. 164–165, Nr. 136 (Beitrag Andreas Stolzenburg).

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, braun laviert, Rötel, über schwarzer Kreide 198mm x 343mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2007 mit Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung Inv. Nr.: 2007-9 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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