Nikolaus Knüpfer

Der Prophet Gad und König David, 1647

Joachim von Sandrart rühmte ausdrücklich Knüpfers Historien, „die er meistens in klein, aber sehr ingenios gebildet [hat], dessenthalben sie sehr gesucht und bey Monarchen und großen Herren wol beliebt waren“. (Anm. 1) Sandrarts Charakterisierung als „ingenios“ [ingeniös] beschreibt Nikolaus Knüpfers Kunst nicht nur als erfinderisch im Sinne von schöpferisch, sondern auch im Sinne von originell und geistreich. Tatsächlich vereinigt seine Kunst auf einzigartige Weise Inspiration und Ingenium, denn Knüpfers Gemälde und Zeichnungen zählen in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts zu den ungewöhnlichsten Darstellungen, deren Themen und Inhalt heutzutage nicht immer mehr unmittelbar zu erschließen sind.
Ein neu entdecktes Beispiel dieser beschriebenen Eigenart ist ein großformatiges Blatt, das vor einigen Jahren die Hamburger Kunsthalle erwerben konnte. Es erzählt die selten dargestellte Szene aus dem zweiten Buch Samuel mit dem Propheten Gad, der David – nachdem dieser seine Sünden bekannt hatte – vor die Wahl dreier Bestrafungen stellte. (Anm. 2) Aus drei Jahren Hungersnot, drei Monaten Krieg und drei Tagen Pest wählte David die Seuche, der nahezu 70.000 Menschen zum Opfer fielen. Als der Engel sich anschickte, auch Jerusalem zu zerstören, befahl ihm Jahwe, sich zurückzuziehen. Der Engel erscheint auf der Zeichnung oberhalb von Gad, umgeben von Putten und in den Händen einen Totenkopf, ein Schwert und eine Geißel als Zeichen seines göttlichen Auftrags.
Das oben rechts am Thronzelt 1647 datierte Blatt in Hamburg beansprucht nicht nur wegen seiner Größe – es ist nach einer Pilatusszene in Los Angeles Knüpfers größte Zeichnung (Anm. 3) - eine besondere Stellung in seinem zeichnerischen Werk, sondern vor allem wegen seiner sorgfältigen und bildhaften Ausarbeitung, die das Blatt zu einer eigenständigen Arbeit macht. Es vereinigt auf einzigartige Weise die virtuos-expressive und kraftvolle Handschrift Knüpfers mit seinem ganz eigenen Sinn für theatralische Inszenierungen, die durch einen akzentuierten Tenebrismus und einen bühnenartigen, oft gedrängten Bildaufbau gekennzeichnet sind.
Es existiert eine schon lange bekannte Zeichnung desselben Themas in Dresden (Anm. 4), von der Jo Saxton angenommen hat, es handle sich um den „modello“ für ein sich ehemals in polnischen Privatbesitz befindliches Gemälde. (Anm. 5) Allen drei Interpretationen des alttestamentarischen Themas gemeinsam ist eine Konzentration auf die Konfrontation der beiden Protagonisten, die sich vor allem in der exaltierten Gestik der Hände ausdrückt. Gads beredte Argumentation der Hände ist auf dem Dresdner Blatt einem auffordernden Zeigegestus gewichen, mit dem der Prophet den Betrachter auf das göttliche Geschehen hinweist. Die aufgeladene, fast vibrierende Nervosität und Dramatik des Hamburger Blattes hat Knüpfer dort durch eine kompositionelle Klärung und Beruhigung ersetzt.
Die Sünde Davids wurde in der Devotionalliteratur der Gegenreformation populär. Es verweist durch die Abfolge von Sünde, Bereuen, Buße und Vergebung auf das Sakrament der Beichte, das nach dem Bildersturm in den nördlichen Niederlanden abgeschafft worden war, in der katholischen Propaganda aber weiterhin eine bedeutende Rolle spielte. (Anm. 6) Als ein Exemplum für Buße und Vergebung legten katholische Exegeten wie Johannes David die alttestamentarische Geschichte im zweiten Buch Samuel so aus, dass David die Pest als Strafe aus Demut wählte, weil die Seuche ihn genauso hätte treffen können wie sein Volk, während er sich Krieg und Hunger hätte entziehen können. (Anm. 7)
In den südlichen Niederlanden war das Thema der Reue Davids im 17. Jahrhundert präsent, blieb in den nördlichen Landesteilen aber ungewöhnlich. Einzig ein Gemalde Pieter de Grebbers, das die Reue Davids als Nachtszene zeigt (Anm. 8), bildete eine Ausnahme. De Grebbers Gemälde stammt sehr wahrscheinlich aus einer sogenannten „Schuilkerk“ - verborgene, in Bürgerhäusern versteckte Kirchen, in denen die verschiedenen Konfessionen ihre Religion ausübten. (Anm. 9) Diese Kirchen waren von außen nicht sichtbar, weil sie hinter den Fassaden der Bürgerhäuser verborgen waren, von außen also als Kirche nicht erkennbar waren, doch dort im Inneren häufig mehrere Stockwerke einnahmen. Auch von Knüpfer ist bekannt, dass er um 1650 – das genaue Datum lässt sich nicht ermitteln – für eine „Schuilkerk“, für St. Maria Minor in Utrecht ein kleinformatiges Gemälde lieferte, das in einen Tabernakel aus Ebenholz eingelassen ist. (Anm. 10). Es zeigt die Verehrung der Monstranz mit der Hostie, die für die Feier der Eucharistie unerlässlich war.
Eine ähnliche Funktion ist auch für Knüpfers Gemälde mit David und Gad vorstellbar, doch auch die beiden Zeichnungen, die mit ihren Maßen dem Gemälde annähernd entsprechen, sind in einem ähnlichen Zusammenhang denkbar - wofür ein weiteres Indiz auf der Hamburger Zeichnung sprechen dürfte: Verteilt über das ganze Blatt befinden sich dort kleine Löcher, die heute durch ein nachträglich montiertes Untersatzpapier hinterlegt sind. Die Löcher dürften von Holzwürmern stammen, was für die Zeichnung nahelegt, dass sie ursprünglich auf eine Holzplatte montiert war. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die großformatige Zeichnung als gerahmter Bilderschmuck Teil einer Wanddekoration war.

Peter Prange

Joachim von Sandrart: Der Teutschen Academie Zweyter Theil. Von der alt= und neu-berühmten Egyptischen/ Griechischen/ Römischen/ Italiänischen/ Hoch= und Niederteutschen Bau= Bild= und Mahlerey-Künstlere Lob und Leben, Nürnberg 1675, S. 307.
2. Samuel 24.
Nikolaus Knüpfer, Pilatus vor Christus, Feder und Pinsel in Braun, weiß gehöht, 512 x 629 mm, Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Inv. Nr. 92. GA. 73, vgl. Jo Saxton: Nicolaus Knupfer. An original Artist. Monograph and Catalogue Raisonné of Paintings and Drawings, Doornspijk 2005, S. 219, Nr. D 8, Abb.
Nikolaus Knüpfer, Der Prophet Gad und König David, Feder in Braun, Pinsel in Grau, 545 x 417 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1966-69, vgl. Saxton 2005, S. 214, Nr. D 1, Abb.
Nikolaus Knüpfer, Der Prophet Gad und König David, Öl/Lw, 54,8 x 40 cm, ehemals Warschau, Privatsammlung, vgl. Saxton 2005, S. 214.
Zu David als Sünder in der Gegenreformation vgl. John B. Knipping: Iconography of the Counter Reformation in the Netherlands, Bd. 2, Nieuwkoop/Leiden 1974, S. 318-319.
Bei Johannes David wählt David die Strafe „uyt oodmoedicheydt“, vgl. Johannes David S. J.: Bloem-Hof der kerckelicker Ceremonien, item den christelicken hyus-houder met eene spongie der quader seden, Antwerpen 1607, S. 223.
Pieter Fransz de Grebber, Der reuige David wählt aus drei Strafen, Öl/Leinwand, 94 x 84,5 cm, Utrecht, Museum Catharijnenconvent, Inv. Nr. StCC S28, vgl. Goddelijk geschilderd. Honderd Meesterwerken van Museum Catharijnenconvent. Met bijdragen van H. L. M. Defoer, J. Dijkstra, X. van Eck, T. G. Kootte, Zwolle 2003, S. 178-180, Nr. 56, Abb.
Zu „Schuilkerken“ allgemein siehe Xander van Eck: Clandestine Splendor. Paintings for the Catholic Church in the Dutch Republic, Zwolle 2008, passim.
Nikolaus Knüpfer, Engel verehren die Hostie in einer Monstranz, Öl/Kupfer, 46 x 28,5 cm, Utrecht, Museum Catharijnenconvent, Inv. Nr.OKM V.127, vgl. Saxton 2005, S. 130-131, Nr. 36, Abb.

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Braun 594mm x 487mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben mit einer Spende von Matthias Hans, Hamburg, durch den Förderverein „Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V.“ Inv. Nr.: 2007-1 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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