Franz Innocenz Josef Kobell
Wasserfall in der Isar, um 1800/10
Die kleinen Wasserfälle an den verschiedenen Staustufen in der Isar in München und seiner Umgebung gehören zu den von Kobell am häufigsten aufgenommenen Motiven.(Anm.1) Gleichzeitig sind sie die künstlerisch eindrucksvollsten Blätter, die Kobell als monochrome Pinselzeichnungen ausführte. Alle diese Blätter sind im Format nahezu gleich groß, sie sind alle undatiert und verraten keinerlei stilistische Entwicklung, was ihre zeitliche Einordnung nicht eindeutig ermöglicht. Sie stehen auch mit anderen Zeichnungen oder den ohnehin wenigen Gemälden in keinem Zusammenhang, sie bilden im Werk Kobells vielmehr einen eigenen, autonomen Komplex. In diesen spontanen, durch keine Vorzeichnung vorbereiteten Skizzen löst sich Kobell vom Vorbild des 17. und 18. Jahrhunderts und gelangt um und nach 1800 zu einer Landschaftsauffassung, die ihn in München neben Johann Georg von Dillis (1759–1841) zu einem der Protagonisten realistischer Landschaftsdarstellung macht. Gerade in ihrem auf den nahsichtigen Ausschnitt beschränkten Blick, in der Fragmentierung des Blicks (besonders Inv.-Nr. 1938-34, 1980-11 und 1983-37), in dem Kobell fast zu abstrakten Strukturen zu gelangen scheint, sind die Blätter in Deutschland um 1800 einzigartig und wegweisend für die Naturauffassung – beispielsweise für Carl Blechen (1798–1840) – im 19. Jahrhundert. Auch die Tatsache, dass Kobell ähnlich wie Dillis wiederholt dieselben Orte aufsucht, um dort dieselben Motive in einer Art „seriellem“ Vorgehen unter wechselnden Lichtverhältnissen noch einmal zu zeichnen (Inv.-Nr. 1983-27), machen ihn zu einem Pionier moderner Naturdarstellung.
Die Einzigartigkeit dieser Zeichnungen um 1800 in Deutschland erschwert ihre kunsthistorische Einordnung. Außerhalb Deutschlands hat man auf Rom und die dort kurz vor 1800 tätigen Engländer wie Thomas Jones oder Franzosen wie Pierre-Henri de Valenciennes verwiesen (Anm.2), doch hielt sich Kobell bereits von 1778–1784 in Rom auf, als die genannten Künstler noch nicht in Rom waren. Die künstlerischen Parallelen vor allem hinsichtlich des Blicks auf die Natur – nahsichtiger Ausschnitt und die originären, oft „banalen“ Motive – stehen allerdings außer Frage. Eine erstaunliche Gleichartig- und Gleichzeitigkeit gibt es in Technik und Auffassung vor allem mit dem zeichnerischen Werk François-Marius Granets (1775–1849), der in Rom in seinen Pinselzeichnungen zu ähnlichen Lösungen wie Kobell gefunden hat. Granet war seit 1802 in Rom und besonders in seinen Ansichten von den Ruinen des Kolosseums zu einer vergleichbar freien und luftigen sowie auf den Ausschnitt beschränkten Erfassung gekommen.(Anm.3)
Ob es sich hierbei um parallele künstlerische Entwicklungen handelt, oder Kobell mit dem Werk Granets in Berührung gekommen ist – etwa durch die Vermittlung von Dillis, der erst 1805 nach Rom kam –, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden und muss der weiteren Forschung überlassen bleiben.
Peter Prange
1 Vgl. Ausst.-Kat. München 2005, S. 42–45, Nr. 65–75, vgl. auch The Unicorno Collection. Fifty five years of collecting drawings, Auktion 19.5.2004, Sotheby’s Amsterdam 2004, S. 220, Nr. 314.
2 Thomas Herbig: Kobells Pinselzeichnungen, in: Ausst.-Kat. München 2005, S. 40. Vgl. auch ders.: Franz Kobell. Ein Landschaftszeichner um 1800. Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen, Ausst.-Kat. Traunstein 1997, S. 30–39.
3 Vgl. Granets Blätter in Aixen-Provence, Musée Granet, vgl. Frondose Arcate. Il Colosseo prima dell’archeologia, Ausst.-Kat. Rom 2000, S. 62–65, Nr. 31–34.
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