Julius Schnorr von Carolsfeld
Rudolf von Habsburg und der Priester, 1837/38
Der Saal mit den Darstellungen aus dem Leben Rudolfs von Habsburg war zwar in der Münchner Residenz der kleinste der auszustattenden Räume, doch kam ihm aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Thronsaal hohe Bedeutung zu. Architektonisch war der Saal vom Architekten Leo von Klenze deshalb mit Säulenstellungen hervorgehoben worden. Durch diese Vorgabe stellte sich Schnorr die Aufgabe, neben den querformatigen Schlachtenszenen auch hochrechteckige Wandfelder zu gestalten. Für diese Flächen entwarf er zwei Schlüsselszenen aus der Vita des Kaisers: "Rudolf von Habsburg und der Priester" und "Rudolf von Habsburg empfängt in seinem Lager vor Basel durch den Grafen Pappenheim die Botschaft seiner Kaiserwahl".
Das Hamburger Kupferstichkabinett konnte jüngst diesen großformatigen Entwurf mit der für die Ikonographie des frühen 19. Jahrhunderts in Deutschland so bedeutenden Begebenheit zwischen Rudolf von Habsburg und dem Priester erwerben. Bereits Franz Pforr, Ferdinand Olivier, Franz Ludwig Catel und Joseph Wintergerst hatten dieses Thema vor Schnorr mehrfach illustriert. Die Geschichte war durch Friedrich Schillers Ballade "Der Graf von Habsburg" aus dem Jahr 1803 populär geworden. Ein Priester wird zu einem Sterbenden gerufen, doch hindert ihn das Hochwasser eines reißenden Flusses, ihn zu erreichen. Da erscheint der junge Graf von Habsburg und überlässt dem Geistlichen sein Pferd, ohne dabei an seinen eigenen hohen Stand und seine Würde zu denken. So kann der Priester dem Sterbenden dank der uneigennützigen Hilfe des Grafen die heiligen Sakramente spenden.
Die Begebenheit ist dokumentarisch nicht belegt, woran sich der stets auf historische Genauigkeit bestehende Ludwig I. zunächst störte. Doch für Schnorr war diese Szene Sinnbild seiner idealen Vorstellung vom frommen, vor Gott demütigen Herrscher. Er setzte sich mit seiner Themenwahl und ihrer Gestaltung durch.
In einem ersten Entwurf aus dem Jahr 1835 steht der Graf, das Knie nur leicht vor dem Priester gebeugt, neben seinem Pferd. Zudem ist die Szene gegenüber den späteren Entwürfen noch seitenverkehrt (Städtische Galerie im Lenbachhaus; Ausst.-Kat. Mainz 1994, Abb. S. 122). Diese Darstellung dürfte dem bayerischen König sicher angenehmer gewesen sein als der demutsvoll kniende Herrscher der Hamburger Zeichnung. Eine weitere Entwurfszeichnung vom Januar 1837 in der Staatlichen Graphischen Sammlung in München trägt eine Quadrierung zum Übertragen auf den Karton (Teichmann 2001, S. 310). Doch erst die vorliegende Fassung entspricht detailliert dem ab August 1838 eigenhändig ausgeführten Wandbild und einem im selben Jahr begonnenen, nicht vollendeten Gemälde des Künstlers (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum; Ausst.-Kat. Leipzig 1994, S. 262-263, Nr. 217; Teichmann 2001, S. 310, Nr. 30).
Andreas Stolzenburg