Raffaello Sanzio Morghen, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Der Prophet Jesaja (nach Raffaels Fresko in Sant' Agostino in Rom), 1779

Raphael Morghen war in Neapel Schüler seines Vaters Filippo Morghen und des Onkels Giovanni Elia Morghen gewesen, bevor er 1778 nach Rom übersiedelte (vgl. Inv.-Nr. 50039). Hier arbeitete er für den renommierten Stecher und Verleger Giovanni Volpato, dessen Tochter Domenica er heiratete. 1793 wurde er vom Großherzog Ferdinand III. von Toskana nach Florenz berufen, wo er eine Kupferstichschule aufbaute. 1803 wurde er Professor an der Florentiner Akademie und Mitglied des Institut de France in Paris.
Spätestens seit dem Erscheinen des von Niccolò Palmerini 1810 verfassten und 1824 in einer zweiten Auflage veröffentlichten Oeuvreverzeichnisses der Kupferstiche des italienischen Reproduktionsstechers Raphael Morghen gilt der meist in Rom tätige Kupferstecher als der beste klassizistische Interpret der Werke Raffaels. Noch an der Eingangsfassade der 1869 eröffneten Hamburger Kunsthalle wurde ihm um 1886 mit einer Reliefbüste ein Ehrenplatz eingeräumt. Berühmt und im frühen 19. Jahrhundert bereits weit verbreitet sind besonders seine großen Stiche der Verklärung Christi (Inv.-Nr. 3142, 2021-6, 50040) und die auch in Hamburg vorhandene Folge der Fresken in den Stanzen (vgl. Inv.-Nr. 3152r1 bis r4 und 40457). (Anm. 1) Die meisten seiner Reproduktionsstiche entstanden nach fremden zeichnerischen Vorlagen. Mithin handelt es sich bei der hier vorliegenden, monumentalen und sehr frühen eigenhändigen Zeichnung des Künstlers in Hamburg um eine Rarität.
Die Zeichnung zeigt das berühmte Fresko Raffaels von 1512 in der Kirche Sant’Agostino in Rom. Das Wandbild wurde seit seiner Entstehung häufig reproduziert, so beispielsweise von Giulio Bonasone, Hendrick Goltzius, Luca Ciamberlano, Cesare Fantetti, Nicolas Chaperon, Stefano Mulinari und Ignazio Bonaiuti. Besonderes Augenmerk wurde dabei dem Detail des einen Feston tragenden Puttos (Anm. 2) zuteil, von dem es in der Accademia di San Luca eine Raffael zugeschriebene Wiederholung gibt, der vielfach bewundert und oft kopiert wurde, u. a. als Zeichnung von Annibale Carracci und noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in farbiger Tempera- und Aquarelltechnik von Gustave Moreau. (Anm. 3)
Die eigenhändig signierte und auf 1779 – ein Jahr nach Morghens Ankunft in Rom – datierte Zeichnung gibt sich durch eine weitere Beschriftung von fremder Hand auf der Rückseite als eine Auftragsarbeit Papst Pius’ VI. (reg. 1775–1799) zu erkennen: „Raffaello Morghen copio per ordine di Ss. Papa Pio VI. per Inciderlo in rame / Archivio Malaspina N. 6“. Trotz des Verzeichnisses der Druckgraphiken Morghens von Palmerini (Anm. 4) kennen wir einen solchen Reproduktionsstich jedoch nicht. Möglicherweise wurde die Zeichnung von einem anderen Stecher übertragen oder sie blieb bei der Umsetzung in einen Kupferstich unberücksichtigt. Es gibt einen 1779 datierten, gleichgroßen und der Zeichnung Morghens ähnlichen Stich des Propheten Jesaja von dem in Mailand tätigen Giuseppe Cereda, der laut der Bezeichnung auf dem Blatt nach dessen eigener Vorzeichnung entstanden sein soll (Inv.-Nr. 2003-11). Es ist nicht auszuschließen, dass Cereda die höchst qualitätvolle Zeichnung des mit 21 Jahren noch jungen und unbekannten Künstlers für seine eigene Stecherarbeit benutzte, ohne den wahren Urheber der Vorlage zu nennen. Doch das muss zunächst nur eine Vermutung bleiben.
Auffällig ist, dass im Jahr 1779 eine der Aufgaben beim Concorso Clementino der Schüler der Malerei in der römischen Accademia di San Luca auch eine Zeichnung nach Raffaels Fresko des Propheten Jesaja in Sant’Agostino gewesen ist. Erhalten haben sich im Archivio Storico der Akademie Beispiele von Schülerarbeiten von Giuseppe Bertoni, Marco Bonafede, Francesco Matera und Giacomo Guacci, deren zeichnerische Qualität jedoch gegenüber der Hamburger Zeichnung Morghens weit abfällt. (Anm. 5) Die ersten Preise („primo premio“) erhielten Costanzo Angelini und Antonio Lorenzani, deren zeichnerische Proben nicht überliefert sind. (Anm. 6) Raphael Morghen, der kein Schüler der Accademia di San Luca war, wird in den Akten nicht erwähnt, jedoch liegt ein Zusammenhang der Aufgabe des Concorso Clementino und dem Auftrag an Morghen durch Pius VI. nahe. (Anm. 7)
Andreas Stolzenburg

LIT: Aukt.-Kat. Köln, Lempertz 2000, S. 395, Nr. 1501; Aukt.-Kat. London, Sotheby’s 2001, S. 228, Nr. 269; Stolzenburg 2003, S. 54–55, Abb. S. 127; Klemm 2009,
S. 247–248, Nr. 340 (Beitrag Andreas Stolzenburg); Ausst.-Kat. Rom 2020c,
S. 119, Abb. 5 (irrtümlich als Privatbesitz)

1 Weitere Drucke Morghens mit Motiven aus den Stanzen sind im Kupferstichkabinett vorhanden.
2 Haarlem, Teylers Museum; Van Tuyll van Serooskerken 2000, S. 252–253, Nr. 229, Farbtafel IV.; Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 7997, Nr. 13 (Beitrag Silvia Ginsburg).
3 Ventra 2017, S. 194–200; hier spez. S. 194, Abb. 1 (Raffael), 196, Abb. 4 (Carracci) und S. 197, Abb. 8 (Moreau); Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 95–97, Nr. 14 (Beitrag Carlo Mazzarelli).
4 Palmerini 1810; Palmerini 1824.
5 Cipriani/Valeriani 1991, S. 123–128, Nr. A.513, A.515, A.516, A.518.
6 Ebd., S. 119 („Terza Classe: Dovrassi far copia in disegno del Profeta Isaia da Raffaele d’Urbino in un pilastro della chiesa degli Agostiniani“); vgl. Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 115–119.
7 Das auf der Rückseite der Zeichnung erwähnte Archivio Malaspina ließ sich bislang nicht identifizieren.

Details zu diesem Werk

Schwarze Kreide 520mm x 318mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2001 aus Mitteln des Fördervereins "Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts" Inv. Nr.: 2001-2 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford und Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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