Nicolas Dorigny, Radierer, Zeichner
und Sir Robert Strange
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Der wunderbare Fischzug, um 1760 (Erstdruck 1719)

1623 veranlasste Kronprinz Karl, der spätere Karl I. von England, in Genua den Ankauf der sieben erhaltenen Entwürfe für Raffaels Teppich-Serie. Nach diesen Vorlagen wurden in der Manufaktur Mortlake mehrere Sets gewebt, die sich heute u. a. in Paris und Dresden befinden. 1699 fügte man die für den Webprozess in Streifen geschnittenen Kartons wieder zusammen und präsentierte sie in einer eigens dafür gebauten Galerie in Hampton Court als Dauerleihgabe der königlichen Sammlung. Diese frühe Musealisierung verdeutlicht eine stark gestiegene Wertschätzung. (Anm. 1) Das englische Königshaus wollte auch im internationalen Vergleich als Kulturnation an Ansehen gewinnen, und was lag da näher, als den überragenden Bestand an originalen Werken Raffaels aller Welt auch mittels Druckgraphiken vor Augen zu führen. (Anm. 2)
Zwar waren in England bereits einige druckgraphische Serien nach den Kartons erschienen, diese entsprachen allerdings nicht den Ansprüchen der Krone. (Anm. 3) Daher wandte man sich an den Franzosen Nicolas Dorigny und überredete ihn 1711, für diese Aufgabe nach England überzusiedeln. Dorigny hatte über zwanzig Jahre in Italien gearbeitet und genoss hohes Ansehen als Reproduktionsgraphiker. Wenige Jahre zuvor hatte er mit seiner Interpretation der Transfiguration
Maßstäbe gesetzt (Inv.-Nr. 19536).
Zunächst war das Projekt auch das finanzielle Anliegen der Krone. Doch Dorigny war selbstbewusst und stellte hohe Gehaltsforderungen. Letztlich zog sich der Hof zurück und finanzierte nur noch den Aufenthalt. Immerhin gewährte man dem Künstler täglich eine Flasche Wein „to sweeten life in a cold climate“. (Anm. 4) Dorigny befreite sich aus dem Dilemma, indem er den Zyklus per Subskription anbot. Dieses Modell hatte Erfolg, so dass der Künstler am 1. April 1719 Georg I. zwei Abzüge der Serie überreichen konnte. (Anm. 5) Trotz der finanziellen Streitigkeiten zeigte sich der Hof dankbar und ernannte Dorigny 1720 zum Ritter, was dann auch in der von Robert Strange überarbeiteten zweiten Ausgabe der Serie vermerkt wurde. (Anm. 6)
Diese Würdigung war angemessen, denn Dorigny hatte eine Folge von Reproduktionen geliefert, die wohl neben der Transfiguration als sein Hauptwerk bezeichnet werden kann. Da der Künstler Vorlage und Ausführung in einer Hand behalten wollte, fertigte er zahlreiche Detailstudien an – sie fanden zuerst 1722 und später noch in dem sehr erfolgreichen Zeichenlehrbuch The School of Raphael Verwendung. (Anm. 7). Dorignys Linienführung ist locker und sicher zugleich. Der Gesamteindruck ist leicht, wobei die zum Teil sehr bewegten Linien den Charakter eines gewebten Teppichs anklingen lassen. Dorignys Radierungen erscheinen seitenverkehrt zum Karton, entsprechen damit aber der von Raffael für den Teppich vorgesehenen Ansicht. Diese führte etwa dazu, dass Christus auf der Radierung Der wunderbare Fischzug – wie allgemein gefordert und erwartet – mit seiner rechten Hand segnet.
Von besonderem Interesse ist Dorignys ausgefeilte Radiertechnik, bei der er – wie bereits der berühmte Jacques Callot – neben der einfachen Nadel auch Werkzeuge wie die sog. Echoppe benutzte. Mit dieser konnte er etwa das für einen Kupferstich typische An- und Abschwellen von Linien imitieren. (Anm. 8) Dies war wohl auch ein Zugeständnis an die Kunsttheoretiker, die für die Wiedergabe einer anspruchsvollen Historienmalerei eigentlich nur den klaren und regelmäßigen Kupferstich zuließen. Im optischen Befund wirken Dorignys Reproduktionen dennoch eindeutig wie Radierungen.
In der Reihe der Reproduktionen nach den Teppichen bzw. den Kartons nimmt Dorignys Serie eine führende Stellung ein. Ein Vergleich mit der etwas früheren, allerdings fragmentarischen Folge von Gérard Audran (Inv.-Nr. 19247) erweist Dorigny als den genaueren Künstler. Dagegen pflegte Audran eine weichere Tonalität und tendierte zu einer Auflösung der Binnenzeichnung. (Anm. 9)
David Klemm

LIT (Auswahl): Höper 2001, S. 493, Nr. H 11.2 (mit älterer Lit.); Ausst.-Kat. Luxembourg 2009, S. 82–83 (Beitrag Tanja Hinterholz)

1 Man sah diese Werke als die wohl bedeutendsten beweglichen Gemälde der Welt; Clayton 1997, S. 49.
2 Das Projekt ist durchaus vergleichbar mit der Publikation des Cabinet du Roi, mit dem Ludwig XIV. seinen Kunstbesitz in einem repräsentativen Band vorstellte.
3 Eine erfolgreiche Serie stammte von Simon Gribelin, 1707; eine Mezzotinto-Serie schuf John Simon; vgl. Meyer 1996, S. 22–26; Clayton 1997, S. 49.
4 Clayton 1997, S. 51.
5 Die Platten verblieben allerdings beim Künstler.
6 Strange fügte z. B. die Bezeichnung „Eq“, für Ritter, hinzu; vgl. Höper 2001, S. 493.
7 Bereits 1722 war eine Folge mit 90 Köpfen nach Dorignys Zeichnungen erschienen. In der School of Raphael stehen die auf den Teppichen verwendeten Köpfe der Figuren für Gemütsbewegungen. Es gab auch noch weitere, z. T. um andere Graphiken ergänzte Editionen, etwa von John Boydell 1782; vgl. Meyer 1996, S. 51–56; Höper 2001, S. 493 und Kat. 77 in diesem Band.
8 Ausst.-Kat. Trier 2009, S. 82.
9 Gramaccini/Meier 2009, S. 107.

Details zu diesem Werk

Radierung 475mm x 603mm (Bild) 515mm x 620mm (Platte) 606mm x 813mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 2000-63 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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