Karel van Mander (I.), Kopie?
Die Predigt Johannes des Täufers
Die Hamburger Zeichnung ist weder in Valentiners 46 Nummern umfassendem Zeichnungskatalog (1930) noch bei Miedema 1995 (64 Einträge) aufgeführt. Gode Krämer hatte sie 1971 Karel van Mander zugeschrieben mit Verweis auf stilistisch verwandte Blätter in Haarlem und Berlin. Anders als unser Blatt sind diese jedoch monogrammiert; zudem sind Zeichnungen wie der „Sitzende alte Mann“ in Berlin, bei grundsätzlicher Verwandtschaft im kräftigen Strich und der kontrastreichen Lavierung, deutlich flüssiger ausgeführt.(Anm.1) Gleiches gilt für den „Tross eines Heereszugs“ in Haarlem von 1596, der von Krämer als zeitliches Referenzwerk angeführt worden war, sich aber von unserem Blatt in den ungleich differenzierter abschattierten Volumina unterscheidet.(Anm.2) Der Hamburger Zeichnung fehlt hingegen jegliche Tiefe – die Bäume links sind lediglich von flächigem Lavis hinterlegt. Darüber hinaus lassen sich Schwächen in der Proportionierung der Figuren beobachten. Partien wie der rechte Arm des predigenden Täufers sind deutlich zu lang geraten, und das Greifmotiv der rechten Hand wirkt ungeschickt; im Gegensatz dazu ist die abgewinkelte Linke viel zu klein proportioniert. Diese Eigenschaften kennzeichnen das Blatt als Kopistenarbeit.
Ein Bezug zu einer heute unbekannten Arbeit Van Manders ist gleichwohl vorauszusetzen. Markante Merkmale wie die übermäßig betonte Augenpartie erinnern an die 1592 datierten „Waagschalen der Ehe“, und auch das an die Brust seiner Mutter geschmiegte Kind ist eine typische Van Mander-Figur der frühen 1590er Jahre.(Anm.3) Die Komposition erinnert wiederum an eine Zeichnung in Paris, die eine Vorstellung über das mögliche Aussehen der verlorenen Vorlage gibt.(Anm.4) Das Pariser Blatt diente als Entwurf zu einem bislang unbekannten Stich, und für das durch die Hamburger Zeichnung dokumentierte mutmaßliche Original wäre eine ähnliche Funktion denkbar.
Weiterentwickelt wurde die vorliegende Komposition vermutlich in Van Manders 1597 datierter „Predigt Johannes des Täufers“ in Wien.(Anm.5) Dort erscheint Johannes in manieristisch gelängter Proportion im Blattmittelgrund. Die Zuhörer im Vordergrund wurden auf wenige Figuren reduziert; bei der Familie in fast antikischer Nacktheit könnte es sich um eine Weiterentwicklung der „Hamburger“ Mutter-Kind-Gruppe handeln. Das Gemälde gleichen Themas in Hannover, ebenfalls aus dem Jahre 1597, besitzt noch weniger Berührungspunkte mit unserer Komposition und greift mit der Idee der nackten Repoussoirfiguren allenfalls zurück auf das Wiener Blatt.(Anm.6)
1 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 5978, Hessel Miedema: Karel van Mander. The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters. Commentary on Biography and Lives, Bd. 2, Doornspijk 1995, Nr. D 58.
2 Haarlem, Teylers Museum, Inv.-Nr. N 9 a, Elisabeth Valentiner: Karel van Mander als Maler, Strassburg 1930, Nr. Z 34, Abb. 33; Hessel Miedema: Karel van Mander. The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters. Commentary on Biography and Lives, Bd. 2, Doornspijk 1995, Nr. D 42.
3 Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 8011, Hessel Miedema: Karel van Mander. The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters. Commentary on Biography and Lives, Bd. 2, Doornspijk 1995, Nr. D43, Marjolein Leesberg: Karel van Mander, hrsg. von Huigen Leeflang, Christiaan Schuckman, The new Hollstein. Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, Bd. (6), Rotterdam 1999, Appendix 2, Nr. 24.
4 „Joseph trifft seinen Vater in Ägypten“, Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 8295, ehemals Abraham Bloemaert zugeschrieben, vgl. Marjolein Leesberg: Karel van Mander, hrsg. von Huigen Leeflang, Christiaan Schuckman, The new Hollstein. Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700, Bd. (6), Rotterdam 1999, Appendix 2, Nr. 1; Hessel Miedema: Karel van Mander. The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters. Commentary on Biography and Lives, Bd. 2, Doornspijk 1995 deest.
5 Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 8010, Elisabeth Valentiner: Karel van Mander als Maler, Strassburg 1930, Nr. Z 25; Hessel Miedema: Karel van Mander. The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters. Commentary on Biography and Lives, Bd. 2, Doornspijk 1995, Nr. D 28.
6 Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum, Inv.-Nr. PAM 907, Elisabeth Valentiner: Karel van Mander als Maler, Strassburg 1930, Nr. 11, Marjolein Leesberg: Karel van Mander as a painter, in: Simiolus 22, 1993-94, S. 5-57, Nr. 15, Abb. 22.