Maria Lassnig
Martin Kaetelhön, Drucker
Edition Hundertmark, Köln, Verleger

Ohne Titel, 1987 (radiert 1986)

Aus: "Leinenmappe mit 7 Kupferstichen", Köln 1987, Blatt 7

Maria Lassnig war eine der bedeutendsten Maler*innen der Gegenwart, widmete sich im Laufe ihrer Karriere jedoch auch intensiv der Druckgraphik, oftmals in Zusammenarbeit mit verschiedenen europäischen Verlagen und Galerien wie der Edition Hundertmark oder der Barbara Gross Galerie. In New York definierte sie ihre künstlerischen Befragungen des eigenen Körpers als „body awareness“ (Körperbewusstheit), eine geistige Haltung, die sich als Konstante durch ihr gesamtes Werk zieht. Zum besseren Verständnis dieser Überlegungen lässt sich vor allem das phänomenologische Konzept des spürbaren Eigenleibs heranziehen, welches der Philosoph Hermann Schmitz unabhängig von ihr in den 1960er Jahren entwickelte. Später schrieb die Künstlerin, auf Schmitz rekurrierend: „Das Unsichtbare ist nicht das Unsinnliche, denn es ist das Spürbare. Statt ‚Leibinseln‘ entstehen Leibballen, von der Linienhaut zusammengehalten.“ (Anm. 1)
Lassnig erforschte oftmals in introspektiven Selbstporträts ihr Gefühlsleben. Doch wie lässt sich in Linien und Farben ausdrücken, was sich der sichtbaren Welt entzieht? Bereits Ende der 1950er Jahre fand sie ihre eigene Form des figurativen Realismus, durchsetzt von abstrakten Elementen, die sich in vielschichtigen Bildmetaphern, entwickelt aus der Fragmentarisierung und Abstraktion körperlicher Formen oder der Verschmelzung von Körper und Gegenständen, manifestieren. Zudem ordnete sie die einzelnen Komponenten ihrer helltonigen Farbskala bestimmten Körperteilen oder Gefühlszuständen zu. Einige dieser charakteristischen Elemente finden sich auch in ihrer offen angelegten Serie der teilweise aquarellierten Kupferstiche: abstrakt-deformierte Körper vor den rosa Wänden einer U-Bahn, ein Meditations-Sessel, bei dem unklar ist, ob sich Körper und Gegenstand in einer symbiotischen Meditation verloren haben; aber auch die Koexistenz von Mensch und Tier wird dargestellt, um einen ursprünglichen Daseinszustand zu versinnbildlichen. Durch diese stetige Bewusstwerdung der äußeren interaktiven Körpererfahrung und der inneren Leiberfahrung tritt Lassnig mit der Welt und sich in Beziehung.


One of the most important contemporary painters, Maria Lassnig also dedicated herself to printmaking over the course of her career, often in collaboration with various European publishers and galleries such as Edition Hundertmark and the Barbara Gross Gallery. In New York she defined her artistic investigations of her own body as “body awareness”, a mental attitude that would remain a constant throughout her work. The phenomenological concept of the felt body, which the philosopher Hermann Schmitz developed independently of Lassnig in the 1960s, helps us to understand her approach. The artist later wrote, referring to Schmitz: “The invisible is not non-sensuous, for it is perceptible. Instead of ‘islands of corporeality’, bundles of corporeality are created, held together by skin-lines.” (Note 1)
Lassnig often explored her emotional life in introspective self-portraits. But how can lines and colours express what eludes the visible world? By the late 1950s she had found her own form of figurative realism, interspersed with abstract elements. These manifest themselves in multi-layered pictorial metaphors, developed from the fragmentation and abstraction of physical forms or the fusion of bodies and objects. The artist also began to associate specific colours with certain parts of the body or with particular emotional states. Some of these characteristic elements can be found in this series of copperplate engravings, some with watercolour: abstractly deformed bodies in front of the pink walls of an underground train station, or a meditation chair where body and object seem to have merged symbiotically. Lassnig also depicts the coexistence of people and animals to symbolise an original state of being. By virtue of her constant awareness of the external interactive experience of the body alongside the inner sense of corporeality, Lassnig enters into a dialogue with the world and her physical self.

Leona Marie Ahrens


Lit.: IDEA 1988 (Bd. VII). Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle. Werke, Theorien, Dokumente, hg. von | ed. Werner Hofmann und | and Martin Warnke. München | Munich 1988, S. | p. 179.
Maria Lassnig. Werkverzeichnis Druckgraphik 1949–1987, hg. von | ed. Barbara Gross. München | Munich 1988, Nr. | nos. 37–43.

1 Maria Lassnig. In: Der zerbrochene Spiegel. Positionen zur Malerei, hg. von | ed. Kasper König und | and Hans-Ulrich Obrist, Ausst.-Kat. | exh. cat. Museumsquartier Messepalast (Halle B), Kunsthalle Wien u. a. | et al., Murr 1993, S. | p. 30.

Details zu diesem Werk

Radierung, Papier 248mm x 223mm (Platte) 450mm x 360mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1987-44-g Sammlung: KK Druckgraphik, 20.-21. Jh. Anzahl Teile: 7 © Maria Lassnig Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn/Hamburger Kunsthalle/bpk Foto: Christoph Irrgang

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