Polidoro Caldara, gen. Polidoro da Caravaggio (Umkreis)

Drei Eroten

Die Zeichnung zeigt drei spielende bzw. miteinander ringende Eroten, wie sie vor allem im 16. Jahrhundert in der italienischen Kunst häufig anzutreffen sind. Diese Darstellungen sind wohl in den meisten Fällen von antiken Sarkophagen angeregt worden.(Anm. 1) Dies ist auch für das Hamburger Motiv denkbar, selbst wenn bislang keine genaue Entsprechung nachweisbar ist. Charakteristisch für den anonymen Zeichner ist eine Beschränkung auf die Feder und die Verwendung von zum Teil recht groben Parallelschraffen. Auffallend sind einige Unsicherheiten, wie die sehr klobigen Unterschenkel und der mehrfach überzeichnete linke Fuß des rechten Eroten.
Eine ähnliche Haltung der Figuren bei noch stärkerer Betonung des Spielerischen zeigen zwei Eroten auf einem Kupferstich Marc Antonio Raimondis nach Raffael.(Anm. 2) Chris Fischer schlug 2000 per Kartonnotiz versuchsweise Prospero Antichi als möglichen Zeichner vor, doch lässt sich der Zeichenstil nur schwer mit einem diesem Künstler zugeschriebenen Blatt im Louvre verbinden, da dieses sehr stark laviert ist.(Anm. 3)
Welche Funktion das Hamburger Blatt hatte, ist schwer zu bestimmen. Ein archäologisches Interesse dürfte wohl nur bedingt vorgelegen haben, da die Gruppe im Vergleich zu zwei im Codex Dosio wiedergegebenen Erotenfriesen freier wirkt.(Anm. 4) Hugo Chapman (Anm. 5) und Nicholas Turner (Anm. 6) fühlten sich unabhängig voneinander an Polidoro da Caravaggio erinnert und könnten sich vorstellen, dass das Blatt von einem durch diesen Künstler beeinflussten Zeichner stammt.(Anm. 7) Diese Einschätzung wurde von Achim Gnann bestätigt.(Anm. 8) Gnann verwies darauf, dass der Typus der Puttengesichter auf Polidoro deutet. Die sehr straffe Linienführung, die den Körpern Plastizität gibt, passt jedoch nicht eindeutig zu ihm. Es wäre möglich, dass die Zeichnung von einem Künstlerkollegen, dem bislang noch recht rätselhaften Maturino stammt, der in Rom eng mit Polidoro zusammengearbeitet hat.(Anm. 9)
Von Polidoro gibt es mehrere Friese, auf denen die in kleinen Gruppen angeordneten Eroten zum Teil miteinander spielen.(Anm. 10) Auch wenn sich keine genauen Entsprechungen zum Hamburger Blatt aufzeigen lassen, könnte der Zeichner von derartigen Vorlagen – die sicher ihrerseits von Antiken inspiriert wurden – angeregt worden sein.
Die fragmentarisch erhaltene Zeichnung auf dem Verso zeigt wohl einen Mann und eine Frau, die Steine werfen. Achim Gnann erkannte in der Gruppe Deukalion und Pyrrha.(Anm. 11) Diese warfen dem antiken Mythos zufolge Steine über ihre Schultern und erschufen dadurch Menschen, um die entvölkerte Erde wieder zu beleben.

David Klemm

1 Vgl. zahlreiche Beispiele von Darstellungen von Eroten in der Antike in Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae, Zürich, München 1986 III, 2.
2 The Illustrated Bartsch 26 (14), 280 (215).
3 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 5313. Kampf zwischen Tritonen und Nereiden.
4 Christian Hülsen: Das Skizzenbuch des Giovannantonio Dosio im Staatlichen Kupferstichkabinett zu Berlin, Berlin 1933, Taf. CXXI, CXXII.
5 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 18. 1. 2008.
6 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 5. 3. 2008.
7 Typisch für Polidoro erscheinen die unruhige Konturführung sowie die Parallelschraffuren; vgl. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 1776 F; vgl. Lanfranco Ravelli: Polidoro Caldara da Caravaggio. I. Disegni di Polidoro II. Copie da Polidoro, Monumenta Bergomensia XLVIII, Mailand 1978, S. 218–219, Abb. 263.
8 Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 16. 5. 2008.
9 Zu Maturino vgl. Achim Gnann: Polidoro da Caravaggio (um 1499-1543): Die römischen Innendekorationen, Beiträge zur Kunstwissenschaft, Bd. 68, München 1997.
10 Lanfranco Ravelli: Polidoro Caldara da Caravaggio. I. Disegni di Polidoro II. Copie da Polidoro, Monumenta Bergomensia XLVIII, Mailand 1978, S. 266, Abb. 405, 406.
11 Mitteilung per E-Mail auf der Grundlage einer Digitalphotogaphie, 16. 5. 2008.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun 115mm x 129mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1986-37 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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